Warum einen Stadtrundgang nicht auch einmal im Breite-Quartier beginnen? Wir haben es gemacht – und keineswegs bereut.
Bestimmt hat sich schon so mancher gefragt, wo er oder sie einen Stadtrundgang in Basel starten sollte. Um die Entscheidung zu vereinfachen, schlagen wir einfach einmal das Breite-Quartier am Grossbasler Rheinufer vor, wo ein argloser Spaziergänger mit einer faszinierenden Durchmischung konfrontiert wird. Auf dem Stadtplan bildet das Quartier ein langes, schmales Band, das sich, ausgehend von den Basler Vorstädten bis zum St. Jakob an den Nordosten des St.-Alban Quartiers schmiegt und dessen äussere Begrenzung durch die Birs gebildet wird. Spannende historische Ein- und Ansichten hat vor drei Jahren das Historische Seminar der Uni Basel erarbeitet, veröffentlicht unter dem Titel «Breite-Lehenmatt – Historischer Rundgang durch ein junges Basler Quartier».
Begeht man die Breite nach chronologischen Kriterien, dann beginnt man in der Basler Altstadt, die sich ans Rheinufer drängt und befindet sich somit schon an der schärfsten Grenze, die das Quartier umreisst: am Wasser. Eine zweite Grenzlinie innerhalb des Quartiers ist auf jeden Fall die Zürcherstrasse, die Stadt und Land verbindet, auf der das ständige Rauschen der Autos und das Donnern der Trams nur bei Nacht zu verstummen scheint. Folgt man dieser Hauptstrasse, gelangt man an eine Schlüsselstelle des Quartiers, die durch eine weitere, harte Grenze erkennbar ist: die Autobahn, die erhöht über der Hauptstrasse Richtung Birsfelden thront. Zwar verläuft die Breite an der Birs entlang bis zum St. Jakob. Doch die Autobahn entzweit das Quartier. Die gefühlte, die «richtige» Breite, hört vor der Autobahnbrücke auf. Hinter der Autobahnbrücke liegt das etwas abgeschottete Lehenmatt-Quartier, das vor allem durch die Lehenmattstrasse mit Genossenschaftshäusern und die Birs charakterisiert wird. Dies aber nur am Rande – beschäftigen wir uns nun wieder mit der «klassischen» Breite entlang der Zürcherstrasse.
Ästhetik, Hässlichkeit und Funktion
Ausgehend von den Vorstädten mit ihren mittelalterlichen Gebäuden, wollten wir ja einen chronologischen Spaziergang in Richtung Autobahnbrücke vorschlagen. Die Gebäude werden in diese Richtung immer neuer, aber nicht unbedingt schöner. Mit dem Blick auf die Autobahnüberführung ausgerichtet, stehen rechts zwei Hochhäuser von extremer Hässlichkeit, die wir die «zweieiigen Twin Tower» der Breite nennen. Architekten und Baujahre wären hier auf jeden Fall interessant, konnten aber noch nicht ermittelt werden – sachdienliche Hinweise wären hochwillkommen! Auf der linken Seite steht das neuste Gebäude der Hauptstrasse, «Das Breite Hotel».
Die Grenzen in der Breite sind nicht alle so klar wie der Rhein, die Hauptstrasse und die Autobahn. Der Park neben der Hauptstrasse wird von einer Reihe fein säuberlich gepflanzter Bäume und einer einfachen, nicht durchgezogenen Hecke vom ständigen Lärm der Hauptstrasse separiert. Diese Grenze macht den Park gleichzeitig zum Bestandteil der Nachbarschaft, aber nicht zum Bestandteil der Durchreise; Eltern gehen bewusst mit ihren Kindern in den Park oder schicken sie zum Spielen dorthin. Für Passanten gehört er eher nicht zum wahrgenommenen Netzwerk ihrer Laufwege.
Speziell für urbane Behausungen entworfene Orte, wie beispielsweise Sitzplätze ausserhalb öffentlicher Gebäude, Innenhöfe, und halb-private Grünflächen, sind nicht so belebt und geschäftig wie beispielsweise die Plätze vor den beiden Supermärkten Coop und Migros, die die Erdgeschosse der zweieiigen Twin Tower belegen. Auch der Gehsteig entlang der lokalen Läden ist sehr belebt. Die Gegenüberstellung dieser geschäftigen und ruhigen Orte wirft die Frage auf, was es eigentlich heisst, an einem Ort zu sein, oder eben nicht-zu-sein. Hier wäre es wohl auch angebracht, zu fragen, welche Rolle Ästhetik und Funktion von Architektur bei der Ausdifferenzierung von Orten spielen, da Architektur auch als Grenze fungieren kann, die verschiedene Strukturen verbindet oder voneinander abtrennt.
Stammkundschaft versus Laufkundschaft
Bevor wir uns in diesem Gedankenstrom verlieren, sollten wir aber erst einmal sehen, was die Bewohner und Arbeiter des Breite-Quartiers zu sagen haben. Die Floristin, die Apothekerin und der Filialleiter der Bäckerei sind bereit, ihr Wissen über den lokalen Charakter der Kundschaft und ihrer Geschäfte zu teilen. Die Breite ist ein durchschnittliches Wohnquartier mit einigen Läden, einem Park, Supermärkten, einem Hotel, einer Bibliothek, einem Altersheim, Kinderkrippen und –gärten und einigen weiteren Einrichtungen.
Die befragten Ladenbesitzer sind sich einig in ihrer Aussage, dass die geschäftige Hauptstrasse die Tagesstruktur im Verkauf formt: genauso wie auf der Strasse gibt es morgens und zur Feierabendzeit eine Rush-Hour der Laufkundschaft, die noch schnell etwas besorgen muss – da kann es gut vorkommen, dass jemand zum Beispiel spontan 15 Nussgipfel für das Meeting um 11 holt. Die Geschäfte müssen sich also nach dieser Art der Nachfrage vorbereiten, um leergeräumte Auslagen vor Mittag zu vermeiden. Neben dieser Laufkundschaft vereint das Quartier eine vielseitige Stammkundschaft mit verschiedenen Bedürfnissen, die die Haupteinnahmequelle darstellt. Neben Familien und Studenten besteht diese einerseits aus älteren Leuten, die sich abseits der Rush-Hour am Nachmittag zum gemütlichen Kaffee in der Bäckerei treffen, andererseits aus der internationalen Kundschaft, die durch die chemische Industrie nach Basel gelockt wird und es sich in den schickeren Häusern am Rhein gemütlich macht.
Aufwertung des Quartiers ist durchaus erwünscht
Reinhold Messmer, der Geschäftsführer der Bäckerei, die übrigens bei den älteren Generationen in ganz Basel als «Pfluttebegg» bekannt ist (und heute eine Filiale der Kette «Jetzer» ist), hat sich auch Zeit für ein Gespräch über die Ästhetik und Funktion der Architektur in der Breite genommen. Dabei hat sich herausgestellt, dass er bereits eigene Vorstellungen hat, wie welche Bereiche an der Hauptstrasse besser genutzt werden können. Er schlägt zum Beispiel vor, dass man in das kleine Clubhaus neben dem Park am unteren Ende des Zürcherbergs ein In-Lokal einziehen lassen sollte. Er stimmt uns ausserdem dabei zu, wie wahrscheinlich so manch einer, dass die zweieiigen Twin Tower, die Coop und Migros ummanteln, durchaus extrem hässlich sind und dringend etwas in dieser Ecke gemacht werden muss. Letztes Jahr hat sich sogar eine Projektgruppe gebildet, bestehend aus Herrn Messmer und einigen andern Ladenbesitzern, die sich um die Umgestaltung der Breite und das Leben im Quartier kümmern wollte – es wurden auch zwei Strassenfeste veranstaltet. Jedoch sei die Gruppe wieder auseinandergefallen, da sich niemand zum Hauptorganisator und Initiator berufen fühlte.
Eile mit Weile – wie kann die Wohnqualität in Zukunft garantiert werden?
Die Breite ist ein Quartier, das zurzeit in der Diskussion um Stadtplanung stark vernachlässigt wird, obwohl es direkt an die Autobahn angeschlossen ist, eine der wichtigsten Strassen, die urbanen und suburbanen Raum verbindet durch sie hindurchfliesst, und sie trotz der markanten Grenzen und Einschneidungen «Rhein», «Hauptstrasse» und «Park» optisch auseinanderfällt. Die zunehmende Geschwindigkeit der Gesellschaft macht sich auf der Hauptstrasse und in den angrenzenden Geschäften bemerkbar und beeinflusst die Wohnqualität. Wie können die Ladenbesitzer und Anwohner auf diese Geschwindigkeit reagieren? In den nächsten Wochen möchten wir uns noch intensiver mit den Unorten und auch den schönen Ecken der Breite beschäftigen, sowie die Frage versuchen zu beantworten, wie die Breite ästhetisch sowie funktional aufgewertet werden könnte – Gedankenspielereien durchaus erlaubt.
Wer sich dafür interessiert, was im historischen St. Alban-Quartier, das an die Breite angrenzt, passiert, braucht nur diesem Link zu folgen. Unsere «Stadtflaneur»-Kolleginnen sind für Sie durchs St. Alban-Tal und die St. Alban-Vorstadt spaziert…