Ein Campus der Künste entsteht auf dem Dreispitz

Das Sorgenkind Dreispitz mausert sich zur Kulturperle. Auch kulturelle Bildung soll dabei nicht zu kurz kommen. Schon im kommenden Sommer werden Hunderte von Studierenden der Hochschule für Gestaltung und Kunst dem Areal Leben einhauchen. Was steckt hinter dieser auch andernorts beliebten Entwicklung hin zu einem Hochschulcampus? Auf dem Dreispitz-Areal entsteht ein neuer Ballungsraum für Kunst […]

Umbau des ehemaligen Zollfreilagers.

Das Sorgenkind Dreispitz mausert sich zur Kulturperle. Auch kulturelle Bildung soll dabei nicht zu kurz kommen. Schon im kommenden Sommer werden Hunderte von Studierenden der Hochschule für Gestaltung und Kunst dem Areal Leben einhauchen. Was steckt hinter dieser auch andernorts beliebten Entwicklung hin zu einem Hochschulcampus?

Auf dem Dreispitz-Areal entsteht ein neuer Ballungsraum für Kunst und Kultur. Eigentlich ein schöner Ausblick. In der Presse wurde die Entwicklung auf diesem Areal bereits wachsam verfolgt, wobei der Fokus bis anhin eher auf den Schattenseiten des Wandlungsprozesses lag. Man las vom Unmut ansässiger Gewerbetreibender, die der geplanten Um- und Neunutzung des Areals mit Skepsis begegnen. In der Folge wurde die Christoph Merian-Stiftung als Grundeigentümerin in ihrer Verteidigungsposition gegen Einsprachen und kritische Haltungen stark gefordert. Auch über die Verzögerung des Umzugs der HGK an ihren zukünftigen Standort hat die TagesWoche bereits berichtet.

Die HGK-Institute werden vereint

Wenden wir nun einmal den Blick auf die Schokoladenseite des laufenden Entwicklungsprojektes: Eine Vielfalt an kulturellen Einrichtungen eröffnet sich uns, teilweise haben sie ihre Lager auf dem Dreispitz bereits aufgeschlagen oder sie stecken noch mitten im Umzug. Die grösste Insel in diesem Meer bildet die Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW, die voraussichtlich ab Sommer 2014 ihre neuen Räumlichkeiten beziehen wird. Der Campus soll die bisher auf Basel, Muttenz und Aarau verstreuten Institute vereinen. Dies soll in vier Gebäudeformen möglich werden: dem ehemaligen Zollfreilager, einem vom Basler Architekturbüro Morger + Dettli Architekten AG designten Neubau, diversen zentralen Werkstätten und einem weiteren Neubau von Privaten, der sich aber noch in Planung befindet.

Campus-Bildung auch in Zürich

Höchste Konzentration von Kreativität, diese Devise scheint zurzeit nicht nur in Basel auf Anklang zu stossen. Auch in Zürich will die Hochschule der Künste ZHdK im Sommer 2014 ein neues Lager in Zürich-West beziehen. Auf dem Campus Toni, wie er liebevoll genannt wird, sollen die auf 35 Standorte in Zürich und Winterthur verteilten Institute zu einem Brennpunkt für Bildung und Kunst verschmelzen. Mitzügler und Nachbarn werden zwei Departemente der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW sein.

Allerdings trifft man bei dem Projekt Toni-Areal auf grössere Dimensionen als in Basel: allein die ZHdK umfasst um die 2500 Studierende, welche sich in Zukunft auf rund 73’100 Quadratmetern niederlassen werden, während in Basel mit lediglich 750 Studierenden auf dem neuen Dreispitz-Campus gerechnet wird. Diese ungleichen Dimensionen beruhen jedoch lediglich darauf, dass es sich in den beiden Fällen um verschiedene Organisationsstrukturen und Konzepte handelt: Während in Zürich auch das Departement Darstellende Künste und Film (mit Tanz, Theater und Film) und das Departement Musik unter dem Dach der ZHdK Platz finden werden, liegt der Fokus der Basler Hochschule im Dreispitz auf den Instituten des Bereichs Gestaltung und Kunst.

Gewerbe und Industrie machen der Kultur Platz

Beide Hochschulen werden neu auf einem ehemaligen Gewerbe- oder Industrieareal errichtet: Das Toni-Areal in Zürich war lange Zeit Standort des berühmten Milchverarbeitungsbetriebes Toni. Nach der Stilllegung der Molkerei wurde es zu einer Party-Lokalität. Vor drei Jahren begann man mit dem Umbau für die baldige Ansiedlung der Hochschule sowie der Errichtung von Mietwohnungen.

Auch das Dreispitzareal erfährt eine Transformation: vom ursprünglichen Gewerbeareal mit hauptsächlich logistischer Nutzung zur Gemischtnutzung, die sich aus Wohnen, Dienstleistung, Gewerbe, Kultur, Bildung, Forschung und Freizeit zusammensetzt. In diese heterogene Landschaft wird sich nun der neue Campus der HGK einbetten.

«Die Hochschule wird sichtbar und erlebbar»

Betrachtet man die derzeitigen Standorte der HGK-Institute, fällt sofort deren teils vorzügliche Lage in Basel ins Auge. Direkt am Rhein, am Totentanz, gegenüber des Universitätsspitals oder an der Heuwaage – warum also der Wegzug aus der Innenstadt auf ein dezentrales Areal wie dem Dreispitz? Was erhoffen sich die Hochschulen von dem bevorstehenden Zusammenschluss aller Institute an einem Ort?

Das leitende Motiv für den Umzug der HGK seien die zu erwartenden Synergien, meint die Direktorin der Basler Hochschule, Prof. Kirsten Merete Langkilde. Sie spricht damit auf die derzeitig zerstreute Ansiedlung der Institute an neun Standorten an, die allein durch Raumknappheit zustande kam. «Die Hochschule wird sichtbar und erlebbar», sagt sie, was wichtig sei, da die Studierenden und Dozierenden der HGK deutlich zum kulturellen Leben der Stadt und der Region beitragen.

Die praktischen Vorteile eines Zusammenschlusses sind offensichtlich. Werkstätten, Ausstellungs- und Medienräume können von allen genutzt werden, was dem Platzmangel entgegenwirkt. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird dadurch einfacher werden, da sich das Spezialwissen der einzelnen Bereiche unter einem Dach und in gemeinsamen Räumlichkeiten sammelt.

Dies kann laut Langkilde für die künstlerische Produktion sehr fruchtbar sein und neue Möglichkeiten eröffnen: «Wenn rund 1000 Personen an einem gemeinsamen Ort an gemeinsamen Themen arbeiten […] entsteht mit Sicherheit eine grosse, neue kreative Energie.» Doch auch auf die Zusammenarbeit mit den benachbarten Kulturstätten auf dem Dreispitz wird gesetzt, erste Kontakte sind bereits geknüpft.

International beachtet

Für die ZHdK war die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen ebenfalls ein zentrales Argument für den Entschluss zu einem gemeinsamen Campus. Wie Thomas D. Meier, Direktor der Zürcher Hochschule, in einem Interview der NZZ sagte, sei der Austausch unter Studierenden und Dozenten ausserhalb des Unterrichts ebenso wichtig für eine Weiterentwicklung wie jener innerhalb der Lehrgefässe. Der gemeinsame Campus habe zudem einen «symbolischen Wert», da das Projekt auf grosse internationale Anerkennung stösse.

Natürlich erhofft sich auch die HGK FHNW eine wachsende internationale Aufmerksamkeit, die nicht nur einzelnen Instituten sondern der gesamten Hochschule zuteil werden soll. Der neue Campus der Künste wird national und international ein Anziehungspunkt sein, prophezeit Langkilde. Könnten auch die Stararchitekten Herzog & de Meuron, die mit ihrem neuen Archiv- und Wohngebäude auf dem Dreispitz zu direkten Nachbarn werden, zur Anziehungskraft der Hochschule beitragen? «Wenn die neue Nachbarschaft mit Herzog & de Meuron in diesem Feld [der Innenarchitektur und Szenografie] zusätzliche Möglichkeiten, beispielsweise durch das Modell-Archiv, eröffnet, wird uns das sicher recht sein», sagt Langkilde.

Über die parallele Ansiedlung von Hochschule und Industriegewerbe macht sich die Direktorin keine Sorgen. Im Gegenteil, diese Mischung erachte sie vielmehr als spannend und gewinnbringend, sowie auch die Verknüpfung von Altbau (ehemaliges Zollfreilager) und Neubau als Vorzug gesehen wird.

Ein positiver Ausblick

Die Bilanz für die HGK und ihren zukünftigen Wohnsitz scheint durchwegs positiv. Einzig die baulichen Verzögerungen wie auch die ungünstige Erschliessung des Dreispitz-Areals durch öffentliche Verkehrsmittel könnten der Euphorie über den Umzug einen Dämpfer verpassen.

In diesem Punkt ist Zürich dem Basler Campus einen Schritt voraus: das Toni-Areal ist mit einer eigenen Tramhaltestelle und dem Bahnhof Hardbrücke gleich um die Ecke weitaus besser erschlossen. Doch der Basler Regierungsrat hat mit der neuen Nutzungsplanung «Am Depot Dreispitz» dem Problem bereits Abhilfe getan und plant die Einrichtung dreier neuer Tramstrecken, einer weiteren Tramhaltestelle sowie einer direkten Treppe zum S-Bahn-Perron, um die Zugänglichkeit des Areals zu verbessern.

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