Genau ein Jahr ist es her, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) alle überrascht hat: Am 15. Januar 2015, um 10.30 Uhr, mitten im Vormittagshandel, verschickte sie ein Communiqué, in dem es hiess: «Nationalbank hebt Mindestkurs auf».
Ein Jahr, hunderte Medienberichte und unzählige Podiumsgespräche später sind die Meinungen dazu so gespalten wie kurz danach. Die Frage, ob der Entscheid der Nationalbank nun richtig war oder nicht, ist nach wie vor in erster Linie eines: Eine Glaubensfrage.
Die Gewerkschaften und Teile der politischen Linken wollen einen neuen Mindestkurs. Die Geldpolitik eines Landes sollte diesem nützen und nicht schaden, argumentieren sie. Was bringe eine eigene Währung, wenn sie Arbeitsplätze vernichte und die Deindustrialisierung befeure.
Die bürgerlichen Kräfte und grosse Teile der Wirtschaft halten hingegen das Prinzip der unabhängigen Nationalbank hoch. Die Geldpolitik dürfe kein Spielball der Interessen sein, argumentieren sie. Die Nationalbank müsse autonom entscheiden können – und genau das habe sie getan. Offenbar sei sie zum Schluss gekommen, dass das Festhalten am Mindestkurs riskanter gewesen wäre als der Ausstieg.
Industrie, Tourismus, Detailhandel
Ob der Schritt richtig war oder nicht, mag umstritten sein, seine Folgen sind es nicht: Die Wirtschaft wurde ausgebremst. Besonders die Industrie, der Tourismus und der Detailhandel leiden heftig unter dem starken Franken.
Die meisten Beobachter sind der Ansicht, der Entscheid habe bisher einige tausend Stellen gekostet. Laut Ökonomen der Credit Suisse waren es im letzten Jahr etwa 10’000 Jobs, welche der Frankenaufwertung zum Opfer fielen. Und die Tendenz dürfte sich fortsetzen.
«Zwar gibt es auch Gewinner», sagt David Marmet, Leiter Volkswirtschaft bei der Zürcher Kantonalbank, im Interview mit der Finanznachrichtenagentur AWP. Die Schweizer Volkswirtschaft insgesamt gehöre – zumindest in der kurzen Frist – aber klar zu den Verlierern.
Konsumenten profitieren
Zu den Gewinnern zählen einige binnenorientierte Unternehmen – und die Konsumenten. Bereits wenige Tage nach dem SNB-Entscheid senkten die Detailhändler im grossen Stil die Preise. Zahlreiche Produkte des täglichen Lebens wurden deutlich billiger, weil die Detailhändler Währungsvorteile beim Einkauf weitergaben.
Manch gewitzter Konsument wartete indes nicht auf die Preisnachlässe im hiesigen Detailhandel, sondern profitierte gleich direkt vom Währungsvorteil: Der Einkaufstourismus erfreute sich grosser Beliebtheit.
Zwei Tage nach dem SNB-Entscheid – der Franken notierte gegenüber dem Euro noch nahe der Parität und das Shoppen ennet der Grenze war besonders lohnend – verdichteten die Basler Verkehrs-Betriebe den Fahrplan auf den Strecken nach Deutschland, um den erwarteten Ansturm bewältigen zu können. Und auch die SBB ergänzte einen Teil ihrer Züge nach Konstanz mit zusätzlichen Wagen.
Geflügeltes Wort
Der «Frankenschock» – unterdessen ein geflügeltes Wort, das sogar im Englischen verwendet wird – hat die Schweizer Wirtschaft im letzten Jahr durchgeschüttelt. Und dennoch: Es hätte noch schlimmer kommen können. Wo sich der Euro-Franken-Kurs letztlich einpendeln würde, wusste vor einem Jahr nämlich keiner. Viele sprachen von 1,05. Mittlerweile sind es rund 1,09.
Wie stark die SNB heute noch eingreift, um den Franken gegenüber dem Euro zu schwächen, ist nicht bekannt. Mit der Zinswende in den USA nimmt der Druck auf die Nationalbank jedoch etwas ab. An den Negativzinsen hält die SNB jedoch vorerst fest. Denn die Europäische Zentralbank (EZB), von deren Geldpolitik die SNB stark abhängig ist, hat erst im Dezember ihre Geldschleusen noch weiter geöffnet.