Ein Sommermärchen

Die achtklassigen Kicker des Lietsch City F.C. aus dem Baselbiet reisten für zwei Länderspiele in die Karibik. Dort bewahrheitete sich zwischen Hühnerknochen und Schnorchelplausch, zwischen Rum und Ruhm: Fussball ist wichtig. Ein persönlicher Reisebericht.

Zwölf Tage Karibik und zwei Länderspiele – der Lietsch City F.C. auf Entdeckungsreise. (Bild: Basil Neff)

Die achtklassigen Kicker des Lietsch City F.C. aus dem Baselbiet reisten für zwei Länderspiele in die Karibik. Dort bewahrheitete sich zwischen Hühnerknochen und Schnorchelplausch, zwischen Rum und Ruhm: Fussball ist wichtig. Ein persönlicher Reisebericht.

Seit diesem Sommer führe ich zwei Länderspiele in meinem Palmarès. Das ist ein Länderspiel mehr als die Fussball-Profis Davide Chiumiento, Alain Rochat und Thomas Häberli absolviert haben. Ich habe mit vollem Einsatz – davon zeugt noch jetzt eine pizzaähnliche Schürfung am Knie – zwei Mal gegen die nationale Auswahl der Britischen Jungferninseln gekickt. Es war ein unvergesslich schönes Erlebnis. Die ganze Reise, nicht nur das Kicken.

Ich habe einen Ort besucht, den ich sonst niemals angesteuert hätte. Ich werde wohl auch nie wieder dorthin reisen. Ein zwölftägiger Trip auf die British Virgin Islands (BVI) ist ökologisch und ökonomisch blödsinnig. Aber wunderschön. Man wandelt dort durch Tourismuskatalog-Bilder und stört Amerikaner im Honeymoon.

Beides haben wir vom Lietsch City F.C. ausführlich gemacht. Wir haben Reggae gehört und Bootstouren unternommen. Wir haben Rum-Cola geschlürft und Paradiesfotos geknipst. Wir haben die Apartheid gespürt und nicht recht gewusst wie damit umgehen. Wir waren 28 kleine Welpen auf Entdeckungstour.

Und alles nur wegen dem Fussball. Fussball ist mehr als das, was zwischen An- und Abpfiff passiert. Gerade in der Karibik, wo das Gras mit Geissenscheisse, Glasscherben und Gefiederknochen garniert ist. Fussball ist die Summe von allem was das Spiel sozio- und sportkulturell umrahmt und berührt. Auf unserer Reise wollten wir alle Facetten erfahren – oder «uffsuuge», wie es der Preesi in seinen Ermahnungen immer nannte.

Anders – und doch nicht

Unser Verein ist per Selbstdefinition auf der Suche nach fussballkulturellen Extrawürsten. Das ist nicht immer der einfachste Weg. Statt für einen lokalen Gewerbler zu werben, tragen wir das Logo einer gemeinnützigen Organisation auf der Brust. Die Fairplay-Tabelle hat die gleiche Wichtigkeit wie die Punkte-Rangliste.

Wir haben die Bewohner des umstrittenen Ramlinsburger Asylanten-Heims zu Match und Grill eingeladen. Unsere Clubbeiz ist ein alter Kühlschrank. Unser Grümpeli, der Lietsch City Cup, funktioniert ohne Schiedsrichter. Wir haben weder Vereinstrainer noch -tasche – aber Bademäntel und selbstgenähte Stirnbänder.

Und trotzdem sind wir nur ein Fussballclub wie viele andere auch. Davon zeugt der Spruch aus der Vorfreudezeit: «Wenn wir wieder abreisen, heisst es nur noch ‚Britisch Islands‘, das ‚Virgin‘ können sie streichen.» Wir können nicht besonders gut kicken, wir sind keine Wahnsinns-Typen. Vielleicht erscheinen wir anderen Fussballern sogar eher anstrengend, weil manchmal krampfhaft anders.

Lietsch City ist eine Ansammlung von Fussballern, die sich mit dem gängigen Vereinswesen etwas schwer tun. Viele von uns halten es mit Mani Matter: «Wir haben einen Verein. Ich gehöre dazu. (…) Und manchmal gehöre ich wirklich dazu und ich steh‘ dazu.»

Im Medienhimmel

Darum war es nicht für alle einfach, als der Preesi, in seinem Organisationswahn Uniformierung und Alkoholverbote vorschlug. Alle im gleichen Leibchen reisen? Das gab es noch nie. Keine Hülsen für die mitgereisten Fans? Undenkbar. Aber: Der Preesi hat sich für dieses Projekt monatelang reingehangen. Er hat getan, was seine Stärke ist: Er hat übertrieben – im Positiven.

Also sind wir ihm mit zunehmender Begeisterung gefolgt. Wir haben zum ersten Mal in der rund zehnjährigen Vereinsgeschichte für ein Mannschaftsbild posiert. Wir haben zum ersten Mal morgens um neun trainiert. Wir haben zum ersten Mal ein Länderspiel absolviert. Und wir haben zum ersten Mal ein Länderspiel gewonnen.

Wir haben Autogramme geschrieben, Trikots getauscht und Interviews gegeben. Vor Ort und via Internet den heimischen Medien. Als der «Blick» anklopfte, tanzte unser BaZ-Redaktor über die Hotelanlage: «Wir sind im Medienhimmel.» Nicht alle waren heiss auf Präsenz in Radio und Boulevardpresse. Aber fast alle haben wir uns neu verliebt – in die Reggae-Queen auf der Festivalbühne, in die eigenen Teamkameraden und in den Fussball allgemein.

Maximum Respect for da Swiss Footballaz

Trotz Linksverkehr und Union Jack: die BVI funktionieren eher amerikanisch-karibisch. Laut muss alles sein. Zu unseren Spielen wurden beeindruckende Soundsysteme angekarrt. Eine Art HipHop-MC begleitete das erste Spiel mit frechen Kommentaren und ohrenbetäubenden Reggae-Dub-Beats. Eine taktische Absprache zwischen Aussenverteidiger und Flügelspieler war akustisch nicht mehr möglich.

Das Werk des MC, einer Mischung aus Schnitzelbänggler, Kommentator und DJ, wurde auf den Matchplakaten als «Soca Monarch Competition» angepriesen. Er frotzelte über Hautfarben («BVI is da Team in da green Shirts») und Körperfüllen («Look at Number 19 of BVI, what a massive Boy»), er tadelte den Schiedsrichter («That is no Foul?! Common man!») und er ermutigte uns («Still husteling for da Ball, maximum Respect for da Swiss Footballaz.»).

Uns, die wir alle zum ersten Mal ein Länderspiel bestritten. Für einige war es sogar das erste Fussballspiel überhaupt. Denn auch wer die Reise als Supporter antrat, kam mindestens einmal zum Einsatz.

Tanzbar und frittiert – die BVI

Laut muss es sein auf den BVI, tanzbar und frittiert. Alles Attribute mit denen wir umgehen konnten. Wir grölten im Chor, bewegten uns wild und assen in Öl gebadete Sachen.

Überrascht wurden wir von der Härte. Zuerst von der Härte des Schiedsrichters. Goalie Pommes (ja, wir geben uns lustige Namen; andere heissen Hogge, Prinz, Ottze, Hatsch oder Bestie) verstand erst über Umwege, dass der Referee seine bereits aufwendig verpackten Fingernägel kontrollieren wollte.

Jan schnürte sich vor Schreck das Blut in beiden Händen ab, als er sich mit Isolierband die Freundschaftsbändeli am Handgelenk matchtauglich abdeckte. Und Bird vollführte ein unterhaltsames Nervositätstänzchen um dem strengen Unparteiischen seine Ausrüstung zu präsentieren.

Härte und Hitze

Es überraschte auch die Härte der Spieler. Der Einsatz von Händen und Ellenbogen wurde in jeder Form geduldet. Daran mussten wir uns erst gewöhnen.

Vor allem aber waren wir von der Ambiance eingenommen. Ein tropischer Abend, der mein Fussballherz berührt hat. Ein Leckerbissen für jeden Groundhopper oder Fussballromantiker. Ein staubiger Platz im schwachen Licht der Scheinwerfer, zweieinhalb Tribünen voller Menschen die mitgehen, ein Gefälle von rund zwei Metern zwischen den Grundlinien, Dosenbier aus grossen Kühlboxen und immer diese Musik. Traumhaft.

Die BVI-Kicker hielten uns auch nach dem zweiten Spiel für zumindest Halbprofis, schliesslich reisten wir aus Europa an. Dabei stehen wir vor den Spielen gegen Laufenburg-Kaisten und Diegten-Eptingen noch immer ohne Trainer da.

Der Lietsch City F.C. und die British Virgin Islands

Der Lietsch City F.C. ist aus einem Freundeskreis heraus gegründet worden und nimmt seit 2004 am Meisterschaftsbetrieb des Verbands teil. Dies als FC Arisdorf, dessen einziges Grossfeldteam er stellt. Lietsch, Slang für Liestal, spielt seit Jahren in der 4. Liga – de facto die achthöchste Schweizer Liga.

Dem Kader gehören rund 30 Spieler an, trainiert wird zwei Mal die Woche. Mittwochs wird in Basel, wo die Mehrheit der Lietscher wohnt, zusätzlich frei gekickt. Start in die Saison 2013/14 ist am 17. August mit dem Heimspiel gegen den FC Laufen-Kaisten b.

Die British Virgin Islands gehören zu den kleinen Antillen im karibischen Meer. Auf den rund 60 Inseln leben rund 30’000 Menschen – die meisten auf den Hauptinseln Tortola und Virgin Gorda. Offshore-Finanzwesen und Tourismus prägen die Wirtschaft.

Die Ergebnisse der Ländspiele:
British Virgin Islands–Lietsch City F.C. 3:0 (1:0) und 0:1 (0:0)

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