Ein Toast auf Tarantino

Thumbs Up für Quentin Tarantino! Der unkonventionelle Filmregisseur feiert seinen 50. Geburtstag. Und wir feiern ihn, den Texaner mit Hang zu Hommagen, indem wir sieben grossen Regiearbeiten Revue passieren lassen. Thumbs Up für Quentin Tarantino! Der unkonventionelle Filmregisseur feiert seinen 50. Geburtstag. Und wir feiern ihn, den Texaner mit Hang zu Hommagen, indem wir sieben […]

Thumbs Up für Quentin Tarantino! Der unkonventionelle Filmregisseur feiert seinen 50. Geburtstag. Und wir feiern ihn, den Texaner mit Hang zu Hommagen, indem wir sieben grossen Regiearbeiten Revue passieren lassen.

Thumbs Up für Quentin Tarantino! Der unkonventionelle Filmregisseur feiert seinen 50. Geburtstag. Und wir feiern ihn, den Texaner mit Hang zu Hommagen, indem wir sieben grossen Regiearbeiten Revue passieren lassen.

1. «Reservoir Dogs» (1992)

Was passiert, wenn ein hyperaktiver Pornofilm-Vorführer, Videothekar und Fan von B-Movies einen eigenen Film in die Kinos bringt? In der Regel: gar nichts. Ausser der Mann heisst Quentin Tarantino.

Sein Erstling «Reservoir Dogs» (1992) erschütterte zuerst die politisch korrekte Filmwelt Hollywoods – und regte danach Europas feinsinnige Cinéasten zu abendfüllenden Diskussionen über die Grenzen des guten Geschmacks an. Denn selten zuvor stellte ein Kinofilm Gewalt so explizit und schonungslos dar; selten zuvor lachte das Publikum so ausgelassen über das Gemetzel, das sich vor ihm auf der Leinwand abspielte.

In den Feuilletons entfesselten sich wochenlange Debatten über die Frage, was das Kino kann, soll, darf und was nicht. Kulturpessimisten waren höchst beunruhigt, Jugendschützer und andere Sittenwächter sahen blutrot.   

Der Eindruck, dass «Reservoir Dogs» der Volksseele gefährlich werden könnte, wurde durch provokative Äusserungen des überdrehten Regisseurs noch unterstrichen. So meinte Tarantino etwa, dass Gewalt in Filmen ein lustiges und unterhaltsames Stilmittel sei. Oder dass er Walt Disneys Kinderfilm «Bambi» (1942) für bedeutend gefährlicher und gewaltsamer halte als seinen Film.

«Reservoir Dogs» folgt dem populären Muster des «Heist»-Films: Eine Bande von Gangstern (u.a. gespielt von Harvey Keitel, Tim Roth, Steve Buscemi und Michael Madsen) bereitet sich auf einen Raubüberfall vor; der Coup geht schief; auf der Suche nach dem Verräter in den eigenen Reihen kommt es zu einem Blutbad …

Eine simple Gaunerstory. Doch die Kombination der Stilmittel, derer sich Quentin Tarantino in «Reservoir Dogs» bedient, ist einzigartig und wird zum Markenzeichen für seine späteren Filme: radikale Zeitsprünge, die die lineare Erzählweise auf den Kopf stellen, filmhistorische Zitate, popkulturelle Anspielungen sowie ausufernde Nonsens-Dialoge, die die Gewaltszenen ironisch brechen (in «Reservoir Dogs» debattieren die Gangster etwa über die unterschwellige Botschaft in Madonnas Popsong «Like A Virgin» oder über den Sinn des Trinkgeldgebens).

Ein Film, der unter die Haut geht – und der Streifen, mit dem sich für Tarantino auf einen Schlag alles veränderte. 

2. «Pulp Fiction» (1994) 

Groschenromane, die verfilmt werden, landen normalerweise direkt auf den Wühltischen der Videotheken. Zumindest solange, bis der ehemalige Videothekar Tarantino mit «Pulp Fiction» den Spiess umdrehte, und mittels eines Midas-Kniffs sorgfältig montierte Schundstücke, «die man schon eine Zillion Male gesehen hat – der Boxer, der einen Kampf schmeissen soll, es aber nicht tut, der Mafioso, der die Frau seines Bosses einen Abend lang unterhalten soll, und die beiden Killer auf dem Weg zu einem Job» in Gold verwandelte.

Konkret kompostierte sich Quentin damit gekonnt in die A-Klasse, und staubte nicht nur eine goldene Palme, sondern auch die prestigeträchtigste Goldstatue der Branche überhaupt (nämlich einen Oscar für das beste Drehbuch) ab – zwei Preise, die den zuvor höchst umstrittenen Autor und Filmemacher 1994 in den Hollywood-Olymp aufsteigen liessen, von dem er wohl nicht nur zeitlebens, sondern auch posthum nie mehr herabsteigen wird.

Doch weshalb entpuppte sich gerade «Pulp Fiction» als goldenes Kalb für seinen Erzeuger? Ganz einfach: Vom rasanten Erzähltempo über die stilprägend abgefuckte Ästhetik, von der provokant exzessiven Gewalt über die bitterbösen, aber schreiend komischen Dialoge, von der abgewrackten Besetzung (die Verpflichtung von John Travolta als Vincent Vega hatte die Miramax-Produzenten vorab noch zur Weissglut getrieben) bis hin zum kongenialen Soundtrack stimmt einfach alles. Kurz: «Pulp Fiction» ist ein zwar abgrundtief trashiger, aber gleichzeitig unglaublich cleverer, virtuoser Abgesang auf die Genre-Konventionen des Filmbusiness – und gerade deshalb purer, perfekter Pop.

Wie sehr das Enfant Terrible unter den Cinéasten mit seinem «Must-See-Movie» den Zeitgeist bis heute zu prägen vermochte, beweist nicht nur die Tatsache, dass man bei obigen Filmklischees heute als erstes an «Pulp Fiction» denkt, sondern auch ein Blick in die relevanteste Online-Filmdatenbank IMDB: Hier hält Tarantinos stilbildendes Werk in der Rangliste der besten Filme aller Zeiten nämlich exakt den seinem B-Meisterwerk eigentlich gebührenden edelmetallfreien Ehrenplatz – Nummer 4.

 

3. «Jackie Brown» (1997)

Als in den 1960er-Jahren das Selbstbewusstsein des schwarzen Amerika neu erwachte, schlug sich das auch im Kino nieder. So entstand in der Folge eine Reihe sogenannter Blaxploitation-Streifen, Low-Budget-Produktionen, in denen Sex and Crime zu Soul und Funk zelebriert wurden und die Hauptrollen mit Schwarzen besetzt waren. «Jackie Brown» (1997) ist eine grossartige Hommage an die Filme dieses Genres. Schnörkellos erzählt Tarantino, wie die ins Visier der Polizei geratene Stewardess Jackie Brown es mithilfe des Kautionsvermittlers Max Cherry in einem spannenden Katz-und-Maus-Spiel schafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dass dabei einige Mitspieler tot auf der Strecke bleiben, versteht sich bei einer solchen Geschichte von selbst. 

In der Rolle von Jackie Brown erhielt der frühere Blaxploitation-Star Pam Grier die Gelegenheit zu zeigen, dass sie eine grössere Schauspielerin ist, als ihre früheren Streifen vermuten liessen. Mit von der Partie sind unter anderem auch Samuel L. Jackson als skrupelloser Waffenschieber Ordell, Bridget Fonda als blondes Bikini-Häschen und Robert De Niro als total abgefuckter, völlig entnervter Ex-Sträfling. Eindrücklich auch die Leistung von Robert Forster, der als Max Cherry stets bemüht ist, einen kühlen Kopf zu bewahren.

4. Kill Bill I & II (2003/04)

Dass Tarantinos Gewaltästhetik auch etwas Cartooneskes anhaftet, hat er schon früher angedeutet: Aber nie hat er sie so stark ausgespielt wie im Zweiteiler «Kill Bill». Asiatischer Kampfkunst windet er darin ebenso kunstvoll wie comichaft ein Kränzchen. Unvergesslich, wie fantastisch sich Uma Thurman darin schlägt: Sie ist auf grossem Rachefeldzug, nachdem sie ihre Vergangenheit eingeholt und ihre Liebsten ermordet hatte: Jetzt macht sie sich auf, trachtet dem Attentatskommando nach dem Leben, am Ende bleibt der Showdown mit Bill (brillant: David Carradine), ihr Ex-Lover, ihr Ex-Chef. Ein Ex-Bill, am Ende.

Wie immer zitatreich, handelt «Kill Bill» vom Kampf um Leben und Tod, von Moral und Massaker, lebt von Suspense- und Samuraieinlagen. Schwungvoll fliegen die Schwerter durch die Luft, kongenial begleitet von einem Soundtrack, an dem RZA (Wu-Tang Clan) mitbeteiligt war. Auf harte Beats und kuriose Kampfszenen folgen sanfte Panflöten und Rückblenden: Ein furioser Mix. Mit einer fantastischen Uma Thurman in einem hautengen, knallgelben Anzug. Da kann Catwoman glatt einpacken.  

 

5. «Death Proof» (2007)

Als Quentin Tarantino Teenager war, besuchte er in seiner Freizeit oft «Grindhouses»: Kinos, die gleich zwei Genrefilme am Stück zeigten: Meist B-Movies im Horror- und Actionfilmbereich. 30 Jahre später entwickelte er mit seinem alten Freund Robert Rodriguez («From Dusk Till Dawn») ein Double-Feature-Konzept, das an diese vergessene Tradition erinnerte: So haben sie in ihren Filmen absichtlich Bildstörungen und Schnittfehler eingebaut. Köstlich! Auch hat Tarantino seinen Beitrag, «Death Proof», mit Anspielungen auf «Kill Bill» versehen.

Die Geschichte ist rasch erzählt: «Death Proof» zeigt Kurt Russell als vernarbten Stuntman Mike, der junge, lebenslustige Girlies stalkt – und sie mit seinem «Muscle Car» in den Tod schickt. Was ihm zunächst einfach gelingt, wird in der zweiten Hälfte des Films zur grossen Herausforderung: Sind die neuen Opfer, die der Serienkiller im Visier hat, Stuntwomen (darunter die neuseeländische Stuntfrau Zoë Bell, die sich selber spielt). Tarantinos Hang für starke, schöne Frauen (und schlanke schöne Füsse) ist den ganzen Film über sichtbar – und der «emanzipierte» Showdown überraschend. Dennoch hat «Death Proof» nicht die stärksten Dialoge und was die Dramaturgie allzu grosse Längen. Etwas geschwätzig, dieser Film, und etwas mager die cineastische Ausbeute. Im Direktvergleich bleibt Robert Rodriguez’ Beitrag zum «Grindhouse-Double», der überzeichnete Zombie-/Horror-/Splatterfilm «Planet Terror» (inkl. Vorfilm «Machete») in weitaus bestechender Erinnerung. 

  

6. «Inglorious Basterds» (2009)

In jüngster Zeit hat sich Tarantino der Geschichtsklitterung zugewendet, den Anfang machte er 2009 mit «Inglorious Basterds». Im Zweiten Weltkrieg machen sich unter der Führung von Lt Aldo Raine (Brad Pitt)acht amerikanisch-jüdische Soldaten auf den Weg nach Europa, um «one thing, and one thing only» zu tun; Nazis töten. Tarantino weiss, den Opfern seiner Soldatentruppe wird wohl niemand Sympathie entgegenbringen, entsprechend blutrünstig, brachial, brutal gehen diese zu Werke. Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich Christoph Waltz: Mit seiner Darstellung des SS-Standartenführers Hans Landa hat er alleine 2009 über ein Dutzend Filmpreise gewonnen. Waltz ergänzt das zwar unterhaltsame, streckenweise aber auch platte, Antikriegsfilmchen um eine schillernde, fies-brillante Schauspielleistung. Und ganz nebenbei gesagt: Eine grosse Leistung von Tarantino ist es, in «Inglorious Basterds» Til Schweiger eine Rolle zu geben, in der er erträglich ist.

7. «Django Unchained» (2013)

Seine Eltern haben ihn nach Quint Asper, einer Figur aus der Westernserie «Rauchende Colts» benannt. Und ihm, dem grossen Fan des Genrekinos, fehlte bisher ein Western in der Zitatesammlung. Das holte Tarantino im letzten Jahr nach und drehte «Django Unchained», eine Hommage an die grossen Spaghetti-Western – allein der Titel ist an einen Film von Sergio Corbucci angelehnt, einen der italienischen Regisseure, die Tarantino gemäss eigenen Aussagen vergöttert. Dabei streift Tarantino ein dunkles Kapitel in der US-amerikanischen Geschichte: Sein «Django» ist ein entfesselter Sklave (Jamie Foxx), der sich aufmacht, seine geschundene Frau zu suchen.

Der Film spielt im Jahr 1852 (so weit hat Tarantino das Rad der Zeit noch nie zurückgedreht) und ist Nebendarsteller Christoph Waltz auf den Leib geschrieben worden (er spielt einen deutschen Kopfgeldjäger). Umwerfend auch Leonardo DiCaprio als weisser Plantagenbesitzer. Für seine Liebe geht Django über viele Leichen. Und symbolisiert dabei, um die Tonalität des Films aufzugreifen, den «Super­nigger», der auf Weisse zielt und dabei ins Schwarze trifft – kurz bevor in den USA ein Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten ausbrechen wird.

Tarantino ballert damit seinen peitschenden Sinn für Unterhaltung vor dem Hintergrund einer sozialen und historischen Tatsache Amerikas in die Kinosäle. Was ihm erneut überzeugend gelingt.

«I steal from every movie ever made», hat der Filmemacher mal zugegeben. Sehr schön, wir freuen uns auf seine weiteren Werke.

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