Ein unzerstörbarer Evergreen: Die Vinyl-Schallplatte

Wäre es nach dem Willen der Technologiekonzerne und der Musikkonzerne gegangen, gäbe es die Schallplatte nicht mehr. Aber die Scheiben drehen munter weiter. Und das wird auch so bleiben.

Wäre es nach dem Willen der Technologiekonzerne und der Musikindustrie gegangen, gäbe es die Schallplatte nicht mehr. Aber die Scheiben drehen munter weiter. Und das wird auch so bleiben.

Unlängst sass mal wieder David Bowie bei mir im Wohnzimmer. Er war in Hochform, während ich am Küchentisch nebenan Zwiebeln und Knoblauch hackte. Danach schredderte Keith Richards seine fünf Saiten und Mick Jagger blies den Blues, dass es eine Freude war, während der Sugo blubberte. Später erhob ich mich noch einmal, versorgte «Black & Blue» wieder in der Hülle, legte DJ Shadows Neue auf. Bewegung: Abwaschen war angesagt. 

Ja, Musik auf Vinyl – Polyvinylchlorid, plastifiziertes Hart-PVC, seit 1948 der Stoff, aus dem Schallplatten sind, gewonnen aus Calciumcarbid oder (längst Standard) Rohöl – bewegt die Gemüter noch immer. Nicht nur, weil Musik im Allgemeinen die Gemüter bewegt, und weil Musik nach wie vor auf den meist schwarzen Kunststoff gepresst wird, über 34 Jahre, nachdem der erste CD-Player in Serienproduktion ging und 23 Jahre nach dem ersten öffentlichen Release des MP3-Formats.

Die wollen einfach nicht verschwinden

Nein, die Scheiben sorgen bisweilen für hitzige Debatten, weil sie – dem sogenannten technologischen Fortschritt zum Trotz – einfach nicht verschwinden. Im Gegenteil: In England wurden Anfang Dezember erstmals in der Geschichte der Musikindustrie mehr Geld mit Schallplatten-Verkäufen als mit dem Verkauf digitaler Musik umgesetzt – nach acht Jahren steigender LP-Verkäufe. Der Hype dürfte allerdings mehr über den beklagenswerten Zustand der Musikindustrie und die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft im Allgemeinen aussagen: Ein Massenphänomen sind Schallplatten sicher nicht.

Trotzdem: Es ist schnell passiert, dass Leute darüber in Streit geraten, ob die Musik auf Schallplatte der Musik auf CD nun überlegen sei oder nicht und der komprimierten Musik ja sowieso – oder auch nicht. Dass digital besser sei. Und natürlich praktischer. Und überhaupt. Stundenlang. Mit Erfahrung und Gegenerfahrung, Studie und Gegenstudie.

Eine raffinierte Sache

Darum geht es hier aber nicht. Denn der Grund dafür, dass die Scheiben munter weiter drehen, liegt nicht in der viel zitierten Soundqualität, auch wenn die – auf einer entsprechenden Anlage und mit der richtigen Platte – umwerfend gut sein kann.

Der wahre Grund dafür, dass die LP eine super Sache ist, liegt schlicht darin, dass sie nicht digital, sondern eben eine Sache ist. Eine ausgeklügelte, raffinierte, funktionierende – eine, die den Test der Zeit bestanden hat (gut erhaltene und gereinigte Platten aus den 1950er-Jahren können heute, über 60 Jahre später, noch fantastisch tönen) – und: Eine Platte ist mehr als ein Stück Musik, codiert in unsichtbaren 1-ern und 0-en, frei transferierbar auf anonyme Speichermedien.

Über Vorwürfe, die Schallplatte sei unhandlich, unflexibel, unpraktisch und erlaube keinen fortschrittlichen Musikgenuss – schliesslich ist Skippen nicht möglich, das Erstellen von Playlists ebensowenig, und nach rund 20 Minuten muss man die Dinger drehen (wie anstrengend) –, kann der Schallplattenfreund nur lachen. Denn es ist genau diese Materialität, die den anhaltenden Erfolg der runden Sache Vinyl-Schallplatte erklärt – 30 cm Durchmesser, die Karton-Covers 31,5 cm x 31,5 cm im Quadrat. Das Vergnügen besteht ja gerade darin, dass die Vinyl-Schallplatte einen formatbedingt dazu zwingt, beim ersten Song anzufangen und die Sache dann laufen zu lassen, bis die Nadel von aussen im Zentrum am Ende der Rille angekommen ist.

Nadel auf fürs ganze Werk

Das zwingt den Musikfreund – und darum soll es ja letztlich gehen, um die Musik – wieder hinzuhören. Von Anfang bis zum Ende. Nicht nur bei den Lieblingsstellen. Nicht nur bei den besten Songs. Nicht nur bei den berühmtesten Arien und den theatralischsten Ouvertüren, den dramatischsten Solos und den coolsten Breaks. Im Vordergrund stehen plötzlich wieder die ganzen Werke. So, wie Künstler und Bands sie konzipiert haben.

In Zeiten von iTunes, YouTube, Spotify, Soundcloud und den ganzen wunderbaren Services mit ihren Abermillionen von Songs ist es genau ihre Limitation, die die Schallplatte so super macht. Plötzlich ist da wieder Musik im Kopf, die man mit dem Player längst geskippt und damit verpasst hätte. Im besten Fall, weil man beim wiederholten Hören gemerkt hat: Das hat was.

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