Eine kleine, wilde Capri-Sonne

Pascal Claude schreibt wieder – das heisst, er hat es nie aufgegeben. Jetzt ist ein neuer Sammelband erschienen mit Geschichten aus den Randgebieten des Fussballs. Wie immer ein Vergnügen, wenn Claude schreibt, und gleichzeitig unser Jahresrückblick zum FC Basel. Er schreibt wieder. Für sich, wie Pascal Claude sagt. Das ist einerseits schade, denn seine wöchentliche […]

epa04134302 Red Bull Salzburg player Kevin Kampl at the end of the UEFA Europa League round of 16 second leg soccer match between Salzburg and FC Basel in Salzburg, Austria, 20 March 2014. Basel won 2-1 and advanced to the next round. EPA/BARBARA GINDL

Pascal Claude schreibt wieder – das heisst, er hat es nie aufgegeben. Jetzt ist ein neuer Sammelband erschienen mit Geschichten aus den Randgebieten des Fussballs. Wie immer ein Vergnügen, wenn Claude schreibt, und gleichzeitig unser Jahresrückblick zum FC Basel.

Er schreibt wieder. Für sich, wie Pascal Claude sagt. Das ist einerseits schade, denn seine wöchentliche WOZ-Kolumnen («Knapp daneben») hat er 2008 eingestellt. Andererseits bestückt er seinen gleichnamigen Blog wieder regelmässiger, hat sich zwischendurch auch für die TagesWoche als Autor betätigt, und nun hat er seine Geschichten aus den Randgebieten des Fussballs erneut im Verlag der WoZ in einem Band veröffentlicht.

Neulich war Pascal Claude, der früher die legendäre Flachpass-Bar im Zürcher Letzigrund mitbetrieb, in Basel in der Fussballkulturbar «didi:offensiv» zu Gast. Er hat an diesem Abend ein paar Muster seiner zweiten Passion vorgestellt: Fussball-Lieder auf Vinyl. Eine immense Sammlung von Singles hat er zusammengetragen, und das Beste: Er hat sie digitalisiert und im Netz unter 45football.com eingestellt. Ein grosses Vergnügen – so wie sein schriftstellerisches Talent und sein entspannter Blick auf den Fussball.

Eine Kostprobe wollen wir an dieser Stelle nicht vorenthalten. Die Geschichte handelt von Pyros, vom FC Basel in Salzburg, einer Tüte Capri-Sonne und den Folgen:

Pascal Claude: Aus sicherer Distanz

In einer Kneipe neben dem Hanappi-Stadion brachte mich einmal einer aus dem Konzept. Rapid Wien war in einem uninspirierten Spiel soeben aus dem Pokal geflogen, 1:2 gegen den SV Ried, und nun sass ich mit zwei Einheimischen am Tisch bei Speck und Ottakringer. Es ging um die Fans. Der Block der Rapid-Ultras war merklich ausgedünnt, viele aus der Kurve hatten Stadionverbot erhalten nach dem Platzsturm im Derby gegen die Austria.

Ich wollte mich eigentlich entsetzen über die Dummheit der Leute, im 21. Jahrhundert in voll videoüberwachten Stadien noch aufs Feld zu rennen und dann zu heulen, wenn sie erwischt werden, da sagte der eine meiner Begleiter: «Und das Beste war, wie diese Fackel den Weg fand in den Block der Austria.»

Er beschrieb, wie einer der Rapidler in einem kühnen Weitwurf vom Strafraum aus eine brennende Fackel genau durch die vielleicht dreissig Zentimeter breite Lücke zwischen Tribünendach und Sicherheitsnetz geschleudert hatte, sodass sie einem unheilbringenden Kometen gleich senkrecht in den Gästeblock plumpste.

Vom Umgang mit dem Untergang des Abendlandes

Mich erheitert derlei schon lange nicht mehr. Seit vielen Jahren verfolge ich das Treiben auf den Rängen und um die Stadien, versuche zu verstehen und zu erklären, habe mit Politikerinnen gesprochen, mit Fans und Funktionären, schreibe darüber und komme doch nicht weiter.

Kaum meine ich, es komme endlich so etwas wie Bewegung in die Sache, fliegt hüben wieder eine Fackel aus dem Block oder gibt sich drüben einer öffentlich den neusten Repressionsfantasien hin. MK, SK, SV, KKJPD, KKS, «10vor10» – die Sache hat, auch in der Kürze, viel Ermüdendes. Und da kommt plötzlich dieser Wiener, sagt: Vergiss es, und freut sich an der fliegenden Fackel.

Ich kenne meinen Begleiter als klugen Schreiber, des Defaitismus nicht verdächtig. Die Freude an jenem präzisen Fackelwurf nährt sich nicht aus verwerflicher Blutlust. Im Unterschied zu mir sieht der Wiener einfach nicht in jedem Krawall den Untergang des Abendlandes.



epa04134302 Red Bull Salzburg player Kevin Kampl at the end of the UEFA Europa League round of 16 second leg soccer match between Salzburg and FC Basel in Salzburg, Austria, 20 March 2014. Basel won 2-1 and advanced to the next round. EPA/BARBARA GINDL

Die Legende von der kleinen, wilden Capri-Sonne, die elf rote Bullen bodigte: Kevin Kampl beim Rückspiel in Salzburg, wo der FC Basel im März 2014 die Viertelfinals der Europa League erreichte – und hinterher ein Geisterspiel aufgebrummt bekam. (Bild: Keystone/BARBARA GINDL)

Auch fühlt er sich für einen Platzsturm wie im Hanappi-Stadion in keiner Weise verantwortlich. Er kann solchen Geschehnissen mit der nötigen Distanz begegnen, und deshalb sieht er in der fliegenden Fackel auch nicht in erster Linie die Bedrohung, die zweifellos von ihr ausgeht, sondern eine kleine aviatische Sensation.

Der Retortenpunk und die Capri-Sonne

Ich beneide den Wiener um seine Gelassenheit. Und bin noch immer dabei, von ihm zu lernen. Gelegenheit dazu bot ein Gastspiel des FC Basel in Salzburg, ein paar Jahre nach dem Wirtshausgespräch im Wiener Westen. Die Europa-League-Partie wurde vom Schiedsrichter nach einer halben Stunde unterbrochen, weil Fans aus Basel den zur Cornerfahne schreitenden Salzburger Kampl vom Oberrang mit Gegenständen beworfen hatten.

Im Fernsehen war zu sehen, wie der akkurat zum Irokesen frisierte Profi der Red-Bull-Firmenmannschaft erschrocken aufsprang, weil neben seinen Stollenschuhen etwas spritzend auf den Rasen klatschte. Kampl, der als Retortenpunk so gut zu seinem Klub passte, suchte Zuflucht beim Linienrichter. Und durfte sich danach gleich für zehn Minuten in die Sicherheit der Umkleidekabine begeben.

Geschmacksrichtung Wild Berries

Das Wurfgeschoss, um das es sich handelte, war offenbar ein Beutel Capri-Sonne. Capri-Sonne ist an Kindergeburtstagen beliebt und eben auch bei Fussballfans, weil sie die Flüssigkeit weder in Glas noch in Pet noch im harten Tetrapack, sondern im plastifizierten Beutel transportiert und deshalb nicht unter die im Stadion verbotenen Gegenstände fällt. Capri-Sonne ist in den Geschmacksrichtungen Apple, Orange, Multivitamin, Orange & Peach, Red Fruit & Lemon, Wild Berries und Pink Grapefruit zu haben.

Ich dachte an meinen Wiener Bekannten, als am Tag nach dem Spiel von den «Basler Chaoten» und von «Randalen» lesen war und er FC Basel für die Verfehlungen seiner Fans kurz darauf eine Busse und ein Geisterspiel aufgebrummt erhielt. Ich stelle mir vor, wie der Wiener sich vor allem mit der Frage beschäftigte, welche Sorte Capri-Sonne denn nun den Herrn Kampl so erschreckt haben mochte. Ich selber vermute Wild Berries. Und ich vermute, der Wiener vermutet dasselbe.

Die schlauen Basler

Der FC Basel übrigens gewann die Partie, in Unterzahl. Nach einem völlig konfusen Beginn und einem frühen Rückstand spielte er nach dem Unterbruch schlau und effizient. Von Basler Spielern war unmittelbar nach dem Match zu hören, der Vorfall und die unvorhergesehene Pause seien ihnen gelegen gekommen, sie hätten sich in der Kabine neu sortieren können.

Damit war in Basel eine Legende geboren: von der kleinen, wilden Capri-Sonne, die elf rote Bullen bodigte. Wer diese Legende weitererzählt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Gewalt in Faussballstadien zu verharmlosen. Ich weiss noch nicht, ob ich dieses Risiko eingehen will.

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Der Beitrag ist mit Genehmigung des Autors entnommen aus dem Sammelband «Viele Grüsse aus dem Stadion», das im Verlag der WOZ, die Wochenzeitung erschienen ist. 120 Seiten, 60 Geschichten, 25 Franken im WOZ-Shop (ISBN 978-3-906236-10-0)

Und hier gehts zu 45football.com – Pascal Claudes Fussball-Lieder-Sammlung




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