So viel Brisanz wie in diesem Jahr versprach noch selten eine MotoGP-Saison. Am Wochenende sind in Losail alle Scheinwerfer auf das zerstrittene Superstar-Trio gerichtet.
Wer erinnert sich nicht an den vorletzten GP der vergangenen Saison in Malaysia? Der spanische Honda-Fahrer Marc Marquez, als zweifacher Champion in der Königsklasse bereits aus der Titelentscheidung gefallen, provozierte in Sepang mit gewagten Überholmanövern, nicht zum ersten Mal in der Saison, Yamaha-Fahrer Valentino Rossi bis aufs Blut. Der neunfache italienische Weltmeister liess sich auf dem Weg zu seinem 10. Titel zu einem Foul hinreissen, worauf Marquez zum 6. Mal in einem Rennen 2015 stürzte. Rossi wurde darauf mit der Rückversetzung auf den letzten Startplatz für den GP von Valencia bestraft.
Beim Saisonfinale in Spanien sicherte sich dann Rossis Teamrivale Jorge Lorenzo mit dem Sieg seinen 5. WM-Titel mit 5 Punkten Vorsprung auf Rossi, der nach seiner Aufholjagd das Rennen im 4. Rang beendete. Der 23-jährige Marquez, der mit 0,2 Sekunden Rückstand im 2. Rang klassiert war, verzichtete darauf, seinen spanischen Landsmann Lorenzo anzugreifen …
Gegen aussen hin versprechen zwar alle Beteiligten, dass solche «Wildwest-Szenen» auf dem Asphalt nicht mehr vorkommen würden. Man werde «freundlicher, professioneller und mit dem nötigen Respekt» auf der Strecke miteinander umgehen. Nur glauben mag dies keiner so richtig. Für zusätzliche Brisanz sorgt der Umstand, dass Ende Jahr die Verträge aller Spitzenfahrer auslaufen.
Die Ausgangslage für 2016 ist offen. Der erst 23-jährige Marquez, der von seinen 132 WM-Rennen schon 50 gewonnen hat und vierfacher Weltmeister ist, will die verpatzte letzte Saison mit dem Titel vergessen machen. «Ich bin reifer geworden. Wenn nötig, werde ich mich lieber mit Rang 3 begnügen als im Kampf um den Sieg einen Sturz zu riskieren.» Für den im Tessin lebenden 29-jährigen Jorge Lorenzo (61 Siege in 232 WM-Rennen), der die Vorsaison-Testfahrten dominiert hat, gibt es nur ein Ziel, «die Titelverteidigung». Und für den bereits 37-jährigen Rossi (112 Siege in 330 Rennen) steht einerseits der Angriff auf den 10. WM-Titel im Vordergrund, andererseits will «the doctor» seinen Status als absoluter Superstar nicht verlieren.
Nicht nur Rossis Verhältnis zu Marquez ist gestört, sondern auch die Beziehung zu Lorenzo hat sich wieder auf das feindliche Niveau von 2010 begeben. Damals, in ihrer ersten gemeinsamen Yamaha-Zeit und vor Rossis zweijährigem und missglückten Abstecher zu Ducati, kam es sogar soweit, dass zwischen den beiden Teamkollegen in der Box eine Trennwand aufgestellt werden musste und ein Datenaustausch tabu war.
In den Titelkampf der drei meist genannten Favoriten dürfte die Konkurrenz kaum eingreifen können. Nachdem drei finanzschwache Teams nicht mehr dabei sind, umfasst das Fahrerfeld noch 21 Piloten, die anstelle von Bridgestone mit Pirelli-Reifen ausgerüstet werden und neu eine Einheits-Software verwenden. Am meisten «Störmanöver-Potenzial» besitzen Marquez-Teamkollege Dani Pedrosa sowie das Ducati-Duo mit Andrea Dovizioso und Andrea Iannone sowie die Suzuki-Werkfahrer Maverick Viñales und Aleix Espargaro.