Eingewanderte Kinder sollen in der Schweiz in ihrer Muttersprache statt in einer zweiten Fremdsprache unterrichtet werden. Dafür plädiert Jürg Brühlmann, Bildungsexperte des Schweizer Lehrerverbandes.
Die Leseförderung hänge von der Erstsprache des Kindes ab. Wenn es dort schon Probleme gäbe, sei das Erlernen jeder weiteren Sprache umso schwieriger, sagte Bühlmann der Nachrichtenagentur sda zu einem Bericht der «NZZ am Sonntag».
Wenn die Kinder nicht noch eine weitere Fremdsprache lernen müssten, hätten sie mehr Kapazitäten für das Erlernen der deutschen Sprache frei.
Der Bildungsexperte plädiert zudem dafür, dass Herkunftssprachen stärker validiert würden. Die Kompetenzen in der Heimatsprache müssten anerkannt werden und damit Eingang ins Schulzeugnis finden. So würde dort neben Deutsch und den Fremdsprachen Englisch oder Französisch beispielsweise Albanisch stehen.
Brühlmann geht davon aus, dass gerade die albanische Sprache in einem künftigen Beruf wie beispielsweise als Pflegefachperson oder als Verkäufer gut gebraucht werden kann.
Am Sprach-Kompromiss festhalten
Christoph Eymann, Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), erachtet die Idee zwar als «prüfenswert». «Es ist wichtig, dass Kinder beispielsweise das Zahlensystem in ihrer Muttersprache verstehen», sagte er der sda.
Die Kinder aber vom Unterricht einer zweiten Fremdsprache zu dispensieren, sei keine Lösung. Am geltenden Prinzip der zwei Fremdsprachen, dem sogenannten Sprachen-Kompromiss, müsse festgehalten werden. «In der heutigen Zeit ist es wichtig, dass die Kinder mehrere Fremdsprachen sprechen können», sagte Eymann.
Zudem böten die Kantone bereits Kurse in diversen Heimatsprachen an, die die Kinder besuchen könnten – auch wenn sie diese in ihrer Freizeit besuchen müssten. Für Eymann ist entscheidender, dass die Wichtigkeit der Sprachkompetenzen früh mit den Eltern und sobald als möglich auch mit den Kindern besprochen wird.
Kritik an Pisa
Bühlmanns Vorschlag bezieht sich auch auf die beim Pisa-Test festgestellte Schwäche im Leseverständnis der Schweizer Schulkinder. Nach Veröffentlichung der neusten Resultate aus dem Pisa-Test stand weniger die Leistung der Schülerinnen und Schüler als vielmehr der Pisa-Test selbst in der Kritik. Im Interview der «Schweiz am Sonntag» weist der oberste Pisa-Verantwortliche, der deutsche Andreas Schleicher, die Kritik zurück.
«Wir haben mit der jüngsten, computerbasierten Erhebung den digitalen Übergang vollendet.» Die Welt habe sich dramatisch verändert. Die Jugend lese heute auf dem Tablet, nicht mehr in Büchern. Zudem habe es vor 10 Jahren keine iPhones, kaum soziale Medien oder Big Data gegeben, sagte Schleicher.
Dieser Veränderung trage die Schweiz zu wenig Rechnung. Er erwartet in diesem Punkt «deutlich mehr vom Schweizerischen Bildungssystem». Zudem sei methodisch dafür gesorgt worden, dass die Daten vergleichbar bleiben.
Weil die Daten neu mit dem Computer erhoben werden, sind gemäss der Kritik einiger kantonaler Erziehungsdirektoren Vergleiche zu früheren Leistungen nicht mehr zulässig. Dabei wurde gar der Ruf nach einem Austritt aus dem Test-Verbund laut. Die Teilnahme an der Pisa-Studie 2018 wurde jedoch bereits im Juni 2015 von der EDK entschieden.