Krankenkassen haben kein Interesse an teuren Versicherten. Dies trifft vor allem ältere Menschen und chronisch Kranke, die besonders auf medizinische Versorgung angewiesen sind. Die Urheber der Initiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» sehen darin einen Systemfehler.
In der Grundversicherung dürfen die Krankenkassen keinen Gewinn erzielen. Niemand würde darum freiwillig in dieses Geschäft investieren, wenn damit nicht Patienten für die gewinnbringende Zusatzversicherung angeworben werden könnten, sagte Nationalrätin Yvonne Gilli (Grüne/SG) am Dienstag vor den Medien in Bern.
Dies funktioniere nur über Risikoselektion, welche auf die Versicherten ziele. Die praktizierende Frauenärztin zählte verschiedene Praktiken der Krankenkassen auf, um teure Versicherte zu einem Wechsel zu bewegen. Beispielsweise warteten die Patienten teils monatelang auf eine Rückvergütung. Gesuche von kranken Patienten würde so spät behandelt, dass diese bei der alten Kasse blieben.
Bei einigen Kassen müssten die Medikamente in der Apotheke zunächst selbst bezahlt werden, was nicht allen Versicherten möglich sei, wenn eine Behandlung 10’000 Franken im Monat koste. Andere zahlten für gewisse Therapien nur dann, wenn diese stationär durchgeführt werden, weil sich dabei auch der Kanton an den Kosten beteilige. Dies alles diene allein dazu, teure Patienten abzuwimmeln, um kurzfristig günstige Prämien anbieten zu können, sagte Gilli.
Höhere Qualität zu tieferen Kosten
Eine öffentliche Krankenkasse würde nach Ansicht der Initianten auch die Qualität der Behandlung verbessern helfen. Zunächst wären Ärzte und andere Leistungserbringer mit weniger Bürokratie konfrontiert und könnten ihre Zeit den Patientinnen und Patienten widmen. Zudem hätte eine Einheitskasse keine Möglichkeit, kranke Versicherte loszuwerden. Damit gäbe es einen Anreiz für Prävention und qualitativ hoch stehende Behandlung, ist Gilli überzeugt.
Gleichzeitig rechnen die Initianten mit tieferen Kosten. Der Walliser SP-Nationalrat Stéphane Rossini sprach von mindestens 350 Millionen Franken, die allein bei der Werbung und der Administration der Kassenwechsel gespart werden könnten. Er hält die Schätzung aber für zu tief: Möglich seien dabei Einsparungen von 500 bis 800 Millionen Franken.
Einsparungen in Millionenhöhe ergäben sich auch durch tiefere Reserven, die wegfallende Verwaltung des Risikoausgleichs, der Aufsicht oder bei der Bürokratie auf Seiten der Leistungserbringer. «Sicher können 700 Millionen bis 1 Milliarde Franken gespart werden», sagte Rossini.
Sparen durch Case Management
Den grössten Spareffekt erwartet der Gesundheitspolitiker aber auf längere Sicht. Heute hätten die Krankenkassen kein Interesse an der Entwicklung von Behandlungs- und Pflegepraktiken. Sie beteiligten sich weder an der Prävention noch an der besseren Koordination der Behandlung, sie intervenierten nur mit dem Ziel, Leistungen einzuschränken.
Nur mit einer öffentlichen Krankenkasse werde ein echtes Case Management möglich. Rossini rechnet mit Einsparungen von 2,5 bis 3 Milliarden Franken, und das bei höherer Qualität der Versorgung.
Falsche Behauptungen
Die Gegner der Initiative warnen vor weniger Qualität und höheren Kosten. Nach Ansicht der Tessiner SP-Nationalrätin Marina Carobbio verbreiten diese noch andere falsche Behauptungen. Es stimme beispielsweise nicht, dass mit der öffentlichen Krankenkasse eine Einheitsprämie eingeführt werde.
Kinderrabatte, Franchisen-Rabatte und verschiedene Versicherungsmodelle seien weiterhin möglich. Die Formulierung des Initiativtexts lässt darüber verschiedene Schlüsse zu.
Die Initiative, über die am 28. September abgestimmt wird, verlangt anstelle der privaten Versicherungen eine einheitliche, öffentlich-rechtliche Krankenkasse für die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Für jeden Kanton soll eine Prämie aufgrund der Kosten der Grundversicherung festgelegt werden.