Die Reform der Altersvorsorge kommt vors Volk. Mit einer äusserst knappen Abstimmung hat die Vorlage am Donnerstag die entscheidende Hürde im Parlament genommen. Durchgesetzt hat sich die Mitte-Links-Koalition, welche die AHV-Renten um 70 Franken erhöhen will.
Mit dem Zuschlag werden die Rentenausfälle ausgeglichen, die bei der Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule entstehen. Das Konzept hatten Vertreter von CVP und SP im Jahr 2015 in der Ständeratskommission ausgeheckt. Im Spiel waren handfeste Interessen, etwas Ideologie und eine Menge politisches Kalkül: Die CVP war von Anfang an überzeugt, dass gegen den Widerstand der Linken keine Rentenreform zu haben ist.
Der Pakt, dem sich auch die Grünen und die BDP angeschlossen hatten, hielt bis zum Schluss. Zur absoluten Mehrheit hätte das aber noch nicht gereicht. Diese war nötig, weil für den AHV-Zuschlag die Ausgabenbremse gelöst werden musste.
Entscheidende Abweichler
Doch im letzten Moment hatten die Grünliberalen mit ihren sieben Stimmen das Lager gewechselt. Sie hatten den Zuschlag stets heftig bekämpft, wollten die Reform aber nicht daran scheitern lassen. Die beiden Lega-Vertreter in der SVP-Fraktion hatten schon vorher erklärt, ihren eigenen Weg gehen zu wollen. So kamen im Nationalrat genau die nötigen 101 Stimmen zusammen. Im Ständerat war die Vorlage ungefährdet.
Vor der Abstimmung hatten die Vertreter von SVP und FDP noch einmal das «rot-schwarze Machtkartell» gegeisselt, an dem sie sich in den letzten Jahren die Zähne ausgebissen hatten. Sie bezeichneten es als verantwortungslos, die nachkommenden Generationen die Zeche zahlen zu lassen für eine AHV-Erhöhung, welche die heutigen Rentner ausschliesse und die nur wenige künftige Rentner tatsächlich nötig hätten.
Linke vor schwieriger Aufgabe
Die Befürworter liessen sich nicht beirren. Sie sprachen von der Politik als Kunst des Machbaren und erinnerten daran, dass alle Kröten schlucken müssten. Tatsächlich besteht für die Linke die nächste grosse Herausforderung nicht in der Volksabstimmung, sondern darin, die eigenen Basis für die Reform zu gewinnen.
Die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre ist vor allem für Gewerkschaften und Frauenorganisationen schwer verdaulich. Und die letzte Senkung des Umwandlungssatzes hatten SP und Gewerkschaften 2010 eigenhändig zum Absturz gebracht. Nun stehen sie vor der Aufgabe, der eigenen Basis einen Verlust von 12 Prozent ihrer Pensionskassenrenten schmackhaft zu machen.
Der AHV-Zuschlag ist dafür ein handliches Argument: 70 Franken mehr im Portemonnaie versteht jede Stimmbürgerin und jeder Stimmbürger. Dass die 0,3 Lohnprozente zur Finanzierung des Zuschlags der Wirtschaft ein Klotz am Bein sind, dass der AHV nach 2030 ein umso grösseres Loch in der Kasse droht, dass nur wenige überhaupt einen Rentenverlust haben – das wird für die Gegner wesentlich schwieriger zu erklären sein.
FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis macht sich keine Illusionen. Die Vorlage sei so komplex, dass sie nicht einmal alle Ratsmitglieder verstanden hätten, sagte er. Der Tessiner Nationalrat befürchtet, dass auch die Stimmbevölkerung überfordert und nur für die einfachen Argumente offen sein könnte.
Abstimmungskampf hat begonnen
Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hat der Abstimmungskampf bereits begonnen – noch vor der Schlussabstimmung am Freitag. 2030 werde nicht einmal mehr ein Rentenalter von 67 Jahren ausreichen, um das Loch in der AHV zu stopfen, warnte der Arbeitgeberverband. Der Gewerbeverband bedauert, dass für eine «Scheinreform» die junge Generation die Zeche zahlen soll.
Erleichterung hingegen beim Pensionskassenverband ASIP, dessen Mitglieder unter dem hohen Umwandlungssatz in der obligatorischen beruflichen Vorsorge ächzen. Er sieht die Reform als Chance. Die Gewerkschaften freuen sich, dass nicht nur die Reformblockade durchbrochen wurde, sondern auch das Tabu einer AHV-Erhöhung.
Nach heutigem Kenntnisstand stehen die Chancen der Reform in einer Volksabstimmung nicht schlecht. Gemäss einer Studie der Uni Zürich wird die Erhöhung des Frauenrentenalters kaum zum Stolperstein. Mehr Risiken birgt die Senkung des Umwandlungssatzes, wobei der AHV-Zuschlag den Schmerz über die Renteneinbussen etwas lindern dürfte.
Keine Unterschriftensammlung nötig
Die Reform der Altersvorsorge kommt am 24. September an die Urne. Die Zustimmung von Volk und Ständen ist nötig, weil für eine Mehrwertsteuer-Erhöhung die Verfassung geändert werden muss. Da die Räte Verfassungs- und Gesetzesänderung verknüpft haben, gilt der Urnengang für das gesamte Reformpaket. Eine Unterschriftensammlung erübrigt sich also.
Findet die Reform eine Mehrheit, werden Anfang 2018 jene Änderungen in Kraft gesetzt, die die AHV betreffen. Die Mehrwertsteuer wird um 0,3 Prozent erhöht. Davon bekommen die Konsumentinnen und Konsumenten nichts mit, weil gleichzeitig die IV-Finanzierung ausläuft.
2019 treten die Anpassungen bei der beruflichen Vorsorge in Kraft, 2021 kommt eine weitere Mehrwertsteuer-Erhöhung um 0,3 Prozent. Und in einigen Jahren wird der Bundesrat schon die nächste Rentenreform aufgleisen müssen. Die AHV ist nur bis 2030 finanziert.