Eldin Jakupovic, an der Heim-EM 2008 dritter Goalie im Schweizer Kader, dann vom internationalen Radar verschwunden. 8 Jahre später verschiebt er mit Hull in den ersten Premier-League-Runden Grenzen.
Duplizität oder einfach nur Zufall? Im letzten August war Leicester exakt wie Hull City gestartet. Zwei Spiele, sechs Punkte, praktisch aus dem Nichts. Die paralysierte Konkurrenz raunte und staunte. Die Buchmacher hatten die Meisterchance des krassen Aussenseiters Leicester bei 1:5000 anberaumt. Hulls Quote dürfte sogar tiefer sein, im Fall der Tigers sind sich die Experten einig: Absturz vorprogrammiert, Happy End nahezu ausgeschlossen.
«Uns hat bereits vor dem ersten Spiel jedes Wettbüro abgeschrieben. Fast jeder prophezeite uns, mit einem Minusrekord wieder abzusteigen», sagt einer, der es wissen muss: Eldin Jakupovic, der Schweizer, der unverhofft in den Mittelpunkt eines unerwarteten Schauspiels im Nord-Osten Englands gerückt ist – und wie der gesamte Trainerstab «Überstunden macht».
Was Jakupovic aus Kingston upon Hull per Telefon meldet, klingt unüblich für eine Liga, die dank einem beispiellosen TV-Deal Milliardenbeträge umsetzt: «Uns fehlen eigentlich noch immer vier bis fünf Spieler, um bestehen zu können. In 180 Minuten haben wir einmal gewechselt.» Rechts hinten verteidigt ein Flügel, im Abwehrzentrum ist ein Mittelfeldspieler aufgestellt, im linken Couloir sind ebenfalls keine Optionen vorhanden. Mitte Juli zog sich der Aufstiegs-Coach Steve Bruce entnervt zurück.
Der Schweizer Keeper wundert sich über die eigenartige Entwicklung: «Der Aufstieg brachte uns rund 185 Millionen Pfund ein.» Weshalb nicht mehr in neues Personal investiert worden ist, entzieht sich seiner Kenntnis: «Ich bin nicht Präsident, sondern nur Spieler. Mein Job ist, die Schüsse zu stoppen und mitzuhelfen, den Ligaerhalt zu schaffen.»
Voraussehbar sei in seinem Business ohnehin wenig, so der 32-Jährige. Wie schnell sich alles verändern kann, hat er im letzten Frühling erfahren. Stammkeeper Allan McGregor klagte über Rückenschmerzen, wenige Stunden vor dem Promotions-Playoff habe ihn der Coach zum Gespräch gebeten: «Du spielst.» Jakupovic spielte gut, sehr gut – und er blieb im Tor.
Bruce schenkte ihm das Vertrauen, Nachfolger Mike Phelan, einst während Jahren Assistent der ManU-Legende Alex Ferguson, änderte (vorerst) nichts. Im Gegenteil: Jakupovics Vertrag wurde um zwei Jahre verlängert, obwohl seit Tagen immer wieder der Name des überzähligen Paris-Professionals Salvatore Sirigu in den medialen Spalten auftaucht. «Mit diesen Spekulationen beschäftige ich mich nicht», stellt Jakupovic klar und deponiert im gleichen Atemzug eine deutliche Ansage: «Es wäre nicht einfach zu akzeptieren, wenn ich jetzt für eine neue Nummer 1 Platz machen müsste.»
Auch von der immer wieder aufflammenden Debatte um einen womöglich zeitnahen Verkauf des Vereins bekommt er wenig mit. «Kollegen erzählen mir diese Geschichten.» Nur an den Spieltagen wird ihm bewusst, dass in Hull eine Zerrüttung droht. Die schwer enttäuschten Anhänger haben für den Klubeigner Assem Allam, einen gebürtigen Ägypter mit britischem Pass, ausser Pfiffen wenig übrig. «Uns unterstützen sie aber sehr gut.»
Am Samstag ist guter Support nötiger denn je. Manchester United reist an. José Mourinho und sein Star-Ensemble. «Rooney, Ibrahimovic, Pogba – sie verdienen so viel wie hier die ganze Stadt. Aber Geschenke machen wir ihnen keine.» Sie sind mutiger geworden, die Desperados vom Hull River. Die Siege gegen den Titelhalter Leicester und Swansea haben die Gruppe beseelt, auch ohne Luxus-Besetzung erfolgreich Widerstand leisten zu können.
Ein vergleichbarer Auftakt ist in der Geschichte der Premier League neben Leicester nur Bolton gelungen. «Das nimmt uns niemand mehr», sagt Jakupovic, der sich der enorm schwierigen Voraussetzung für den Erhalt der Klasse aber bewusst ist: «Wir benötigen weitere 30 Punkte.»
Seltene Genussmomente
Für Jakupovic gehören faszinierende Ups und deprimierende Downs scheinbar zum Entwurf der eigenen Laufbahn. «Er hat schon viel erlebt und nicht immer richtig entschieden», sagt Milan Sarovic, ein international vernetzter Goalie-Ausbildner mit prominentem Portefeuille. Der ehemalige Mentor des Ex-EM-Teilnehmers attestiert ihm «Weltklasseparaden», aber in gewissen Situationen eben auch zu «viele Fehler abseits des Rasens».
Stromlinienförmig verlief im Fall von Jakupovic wenig. Als Leihgabe der Hoppers katapultierte er sich mit Thun in den europäischen Sternenhimmel. Nach dem Champions-League-Rausch folgt der Stillstand bei Lok Moskau, nach einem Jahr in Russland die temporäre Rückkehr zu GC, dann die verschlungenen Umwege durch marode griechische Klubs. Vor vier Jahren das nächste Abenteuer: Hull City.
Zu kämpfen hat der Glarner auch in der zweithöchsten englischen Klasse. Auf nur knapp 40 Spiele kommt er in vier teilweise mühsamen Jahren. Jakupovic verklärt nichts: «Einfach war es sicher nicht. Manchmal tat es weh, nach guten Spielen wieder in die zweite Reihe zurücktreten zu müssen.» Vom Vorhaben, «mich irgendwann durchzusetzen», wich er unter keinen Umständen ab.
Vielleicht komme nun der Bonus für die vielen Jahre im Hintergrund. «Für die Zeit, in der ich hart gearbeitet habe, aber kaum wahrgenommen worden bin.» Er halte es wie die übrigen Teamkollegen. Keiner hebe ab, jeder könne die Lage einschätzen. «Aber wir dürfen den Moment geniessen, das haben wir uns verdient.»