Ab heute Mittwoch findet im Velodrome in Grenchen die EM der Bahnradfahrer statt. Mit Blick auf Olympia in Rio konzentriert sich das Schweizer Interesse auf die Mannschaftsverfolgung und das Omnium.
Der Bahnradsport in der Schweiz wird in erster Linie mit den Sechstagerennen im Hallenstadion und der offenen Rennbahn in Zürich-Oerlikon in Verbindung gebracht. Die «Sixdays» sind mittlerweile Geschichte, in Oerlikon wird der Betrieb noch von ein paar Idealisten aufrecht erhalten. Seit zwei Jahren jedoch steht in Grenchen eine Indoor-Bahn, die höchsten Ansprüchen genügt. Nun findet auf dem Holz-Oval erstmals ein internationaler Titelkampf statt.
Die Schweizer wollen bei der erst sechsten EM nicht nur eine Nebenrolle spielen. Gleich in mehreren Disziplinen sind Medaillengewinne möglich – primär deshalb, weil Swiss Cycling im Jahr 2007 unter der Regie von Nationaltrainer Daniel Gisiger ein ambitioniertes Bahn-Projekt ins Leben gerufen hat, das nun erfreuliche Auswirkungen zeigt. Als bisheriger Höhepunkt gilt der WM-Titel im Februar von Stefan Küng in der Einzelverfolgung.
Küngs Goldmedaille in der nicht mehr olympischen Disziplin und die Heim-EM sollen nur eine Zwischenstation sein auf dem Weg nach Rio. Im kommenden Sommer plant der Schweizer Verband in Brasilien sowohl in der Mannschaftsverfolgung als auch im Mehrkampf (Omnium) an den Start gehen zu können. Mit der Organisation der EM soll der hierzulande wenig bekannten Sportart ein Popularitätsschub verliehen werden. Zudem sollen die Athleten lernen, im Schaufenster EM mit Druck und medialem Interesse zurecht zu kommen.
Als Aushängeschild der EM fungiert mit dem knapp 22-jährigen Küng der Hoffnungsträger des gesamten Schweizer Radsports. Bevor ihn ein schwerer Sturz am Giro d’Italia gestoppt hatte, feierte er nicht nur auf der Bahn, sondern auch auf der Strasse seine ersten Erfolge als Profi. Nun ist Küng nach seiner Verletzungspause zurück und soll den Bahn-Vierer in der Verfolgung an die Olympischen Spiele führen.
In der ersten von zwei Saisons, die für das Qualifikations-Ranking zählen, schuf sich die Schweiz in der Mannschaftsverfolgung eine ausgezeichnete Ausgangslage. Nach der Hälfte des Pensums (5 von 10 Rennen) war die Schweiz im 6. Rang klassiert. Um in Rio teilzunehmen, ist der 9. Rang im internationalen respektive der 6. Rang im europäischen Ranking notwendig.
«Wir dürfen nicht schlafen und müssen die Leistungen der letzten Saison mindestens noch einmal bringen», sagt Nationaltrainer Gisiger. Der ehemalige Profi hofft auf Küng, der erst vor zwei Wochen seine Strassensaison beendet hat und sich hinsichtlich der Bahn-Saison – die EM ist der erste Wettkampf – erst im Aufbau befindet. Das Gleiche gilt für Silvan Dillier, der bis Rio ebenfalls den Spagat zwischen Bahn und Strasse wagt. Der Vierer für Grenchen wird komplettiert durch Frank Pasche, Théry Schir und Olivier Beer, wobei einer des Quintetts zuschauen muss.
Wie stark sich die Schweizer in der Mannschaftsverfolgung, mit der heute in Grenchen die EM gestartet wird, mittlerweile verbessert haben, zeigt der Blick auf die Zeiten. In den letzten fünf Jahren verbesserten sie den Schweizer Rekord (derzeit 3:57,043) über die 4000 Meter um über 13 Sekunden. Im November 2014 knackten sie die «magische» Grenze von vier Minuten. In Grenchen gehen Grossbritannien und Deutschland als Favoriten an den Start. Dahinter sei alles möglich, glaubt Gisiger.
Gar noch weiter vorne als in der «Königsdisziplin» des Bahnradsports ist die Schweiz derzeit im Omnium-Ranking (5.) klassiert. In Rio werden die besten 18 Nationen der Welt (respektive die Top 8 Europas) einen Fahrer stellen dürfen. In Grenchen geht Olivier Beer an den Start. Vorgesehen gewesen wäre eigentlich Gaël Suter, der nach einem Sturz jedoch verletzt passen muss.
Die grösste Chance auf eine Medaille besitzt die Schweiz in der Einzelverfolgung, in der Weltmeister Küng auf «Sir» Bradley Wiggins trifft. Wiggins hatte die Einzelverfolgung einst dominiert, ehe er auf die Strasse wechselte und es dort bis zum Sieg in der Tour de France (2012) schaffte. Für Rio kehrte Wiggins, der prominenteste der 280 gemeldeten Fahrer, auf die Bahn zurück. Küng startet zudem zusammen mit Schir im Madison. In dieser Disziplin hatte das Duo 2014 WM-Bronze gewonnen.