Ein Ja zur Atomausstiegsinitiative der Grünen am 27. November würde aus Sicht des Bundesrats zu einem übereilten und ungeordneten Ausstieg führen. Energieministerin Doris Leuthard warnt vor Problemen mit der Stromversorgung und hohen Kosten.
Die Kernkraft sei nicht die Zukunft, sagte Leuthard am Dienstag vor den Medien in Bern. Der Ausstieg sei absehbar. Es brauche aber Zeit, um den Strom aus Kernkraft mit Strom aus einheimischen erneuerbaren Energien zu ersetzen.
Bei einem Ja zur Initiative der Grünen müssten Beznau I und II sowie Mühleberg 2017 abgeschaltet werden. Gösgen ginge 2024 vom Netz, Leibstadt 2029. Damit würde schon 2017 rund ein Drittel des heute aus Kernkraft produzierten Stroms fehlen, gab Leuthard zu bedenken. Das entspreche dem durchschnittlich jährlichen Stromverbrauch von rund 1,6 Millionen Haushalten.
Import von Dreckstrom
Der fehlende Anteil könnte nicht rasch genug mit Strom aus einheimischen erneuerbaren Energien ersetzt werden, sagte Leuthard. Damit müsste die Schweiz viel mehr Strom aus dem Ausland importieren – und zwar Strom aus Kohle- und Kernkraftwerken. Das sei nicht wünschenswert, denn Kohlekraftwerke belasteten das Klima.
Derzeit sind sowohl Block 1 des AKW Beznau als auch das AKW Leibstadt ausser Betrieb. Das hat laut Leuthard bereits dazu geführt, dass mehr Strom importiert werden muss und dass die Preise gestiegen sind.
Überlastung des Netzes
Bei mehr Importen droht gemäss dem Bundesrat aber auch eine Überlastung der Netzinfrastruktur. Ausbau und Erneuerung der Stromleitungen seien geplant, nähmen aber Jahre in Anspruch, sagte Leuthard. Swissgrid-Chef Yves Zumwald nannte die Forderung der Initianten aus diesem Grund unrealistisch.
Im vergangenen Winter, als im AKW Beznau beide Reaktoren stillstanden und gleichzeitig weniger Strom aus Wasserkraft ins Netz eingespeist wurde, waren die Transformatoren vermehrt überlastet. Um zusätzliche Importe transportieren zu können, brauche es neue Transformatoren, sagte Zumwald – bei einem Ja zur Initiative schon «morgen früh». Leuthard stellte fest, ein «Blackout» koste Millionen.
Milliarden für Entschädigungen
Ferner warnte die Energieministerin vor Entschädigungsklagen der AKW-Betreiber. Solche seien absehbar, wenn die «Spielregeln» geändert würden. Die Betreiber könnten Ansprüche geltend machen für nicht amortisierte Investitionen, die sie auf Basis des geltenden Rechts mit unbefristeter Betriebsbewilligung getätigt haben.
Der Bund rechnet mit Klagen in dreistelliger Millionenhöhe pro Atomkraftwerk. Sind diese erfolgreich, müssten die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür aufkommen. Zu Entschädigungszahlungen kam es bereits in der Vergangenheit. Nach dem Entscheid, die geplanten Atomkraftwerke Kaiseraugst und Graben nicht zu realisieren, musste der Bund zahlen.
Stilllegen nicht gleich abschalten
Die Chefin des Berner Energiekonzerns BKW, Suzanne Thoma, räumte ein, dass sich mit Kernkraftwerken heute wenig Gewinn erzielen lasse. Zwischen keinem Gewinn und null Umsatz gebe es aber einen Unterschied. Bei einem Ja zur Initiative würden die AKW während Jahren nutzlos herumstehen.
Die BWK hat aus wirtschaftlichen Gründen entschieden, das AKW Mühleberg 2019 abzuschalten. Vom Entscheid bis zur Stilllegung dauere es mindestens fünf Jahre, im Fall von Mühleberg sechs, sagte Thoma. «Stilllegen ist mehr als abschalten.» Der Rückbau müsse geplant werden.
Energiestrategie als Alternative
Für ein Nein in der Abstimmung vom 27. November machte sich auch der Bündner Regierungsrat Mario Cavigelli stark. Im Namen der Energiedirektorenkonferenz pries er die Energiestrategie 2050 als realistische Alternative an.
Diese sieht – wie die Atomausstiegsinitiative – ein Verbot des Baus neuer Atomkraftwerke vor. Die bestehenden sollen aber so lange am Netz bleiben, wie die Atomaufsichtsbehörde ENSI sie als sicher einstuft. Die SVP hat das Referendum dagegen ergriffen. Sammelt sie genügend Unterschriften, entscheidet das Stimmvolk nächstes Jahr darüber.
Dass das SVP-Referendum Auswirkungen auf die Abstimmung über die Atomausstiegsinitiative der Grünen hat, glaubt Leuthard nicht. Sie sei aber gespannt darauf, was die Gegner der Energiestrategie als Alternative vorschlagen würden, sagte sei. Vielleicht sei es der Bau neuer Atomkraftwerke. Doch niemand sei bereit, in solche zu investieren.