Erdbebenvoraussagen – Island Diaries 4

Island kennt kleinere und grössere Erdbeben – auch politische. Haben Liberalismus und Konservatismus gegen den Humorismus eine Chance? Ein Filmschauspieler hält Rückschau. Politische Erdbeben werden nicht vorausgesagt. Sie geschehen einfach. So in Island 2009. Islands Machthaber befanden sich nach dem Zusammenbruch der Staatsfinanzen in Schockstarre. Die Banken des Landes hatten weltweit ein Mehrfaches des Bruttosozialproduk […]

Der Ex-Bürgermeister von Reykjavik, Jon Gnarr, als Ex-Häftling im Film

Island kennt kleinere und grössere Erdbeben – auch politische. Haben Liberalismus und Konservatismus gegen den Humorismus eine Chance? Ein Filmschauspieler hält Rückschau.

Politische Erdbeben werden nicht vorausgesagt. Sie geschehen einfach. So in Island 2009. Islands Machthaber befanden sich nach dem Zusammenbruch der Staatsfinanzen in Schockstarre.

Die Banken des Landes hatten weltweit ein Mehrfaches des Bruttosozialproduk verzockt. Die Bürger hatten sich selbst mit fremdländischen Währungsspekulationen den Boden unter den Füssen weggezogen. Wer eine Hypothek besass, hatte sie in billigen Fremdwährungen bezogen und konnte mit einer um 30 Prozent gesunkenen Eigenwährung die Hypotheken nicht mehr zurückzahlen.

Das war die Zeit, in der der Schauspieler Jón Gnarr die politische Bühne betrat. Auf den Bühnen des Landes war er damals bereits bekannt: Er war Comedian und spielte im Theater sowie im Film mit.  

Die beste Partei als Programm

Jon Gnarr gründete die «Beste Partei». Er, der eigentlich Gunarrsson hiess, aber als gemobbter Knabe von den Lehrern immer nur scharf «Gnorrs!» gerufen wurde, war plötzlich der Vertreter des Mehrheitsgefühls – die Isländer fühlten sich seit dem Zusammenbruch mit dem Underdog verwandt.

Die «Beste Partei» war die Partei, die für die Realsatire das passende Rezept besass: Der internationale Geldadel wollte viel Geld zurück. Die Isländische Elite hatte sich selber verspekuliert. Da war die reale Satire der Besten Partei willkommen. Die Leitfigur war ein Schauspieler, der mit aberwitzigen Forderungen in den Wahlkampf zog:

Korruption sollte neu erlaubt sein (aber nur wenn sie öffentlich gemacht wird). Die Schwimmbäder sollten sofort gezwungen werden, kostenlose Badetücher abzugeben. Reykjaviks Zoo sollte endlich einen Eisbären erhalten.

Ein bunter Hund unter Grünen, Blauen, Roten und Gelben

Gnarr war also im Land bereits als bunter Hund bekannt: Seine filmische Anarchie half seiner politischen Humoreske auf die Beine. Seine «Beste Partei» versprach, dass sie die Dinosaurier aus dem «Jurassic Park» im Stadtzentrum aufstellen werde.

Sie versprach vor allem etwas, was noch nie eine Partei versprochen hatte: Dass sie keines ihrer Versprechen halten werde. Gnarr war im Land der Elfen, in dem Zauber herrscht und die Sagenwelt hinter jeder Lava-Verwerfung lauert, genau der richtige Träumer für die Politik: Er erzielte mit seiner Partei auf Anhieb 34,7 Prozent der Stimmen und wurde Bürgermeister in Reykjavik.

Gnarr brachte aber als Stadtpräsident nicht nur Humor in die Politik. Er erwies sich auch als Integrator. Er schaffte es, dass die Gesellschaft nach dem Zusammenbruch nicht völlig zerbrach. In seiner Amtszeit wurde sogar ein Prestigeprojekt der alten Machthaber, das imposante Konzerthaus «Harpa» im Hafen Reykjaviks, zu Ende gebaut, obwohl die Banken bankrott, die Staatsfinanzen aus dem Lot und die Kultur am Boden war.



Die Philharmonie der Reykjaviker

Die Philharmonie der Reykjaviker

Schauspieler in Politikerkreisen

Gnarr spielte in den Kreisen der Politiker als Schauspieler gleichwertig mit. Nach vier Jahren hatte er von der Rolle genug. Aber nicht von seiner Aufgabe. In seinem herzerfrischenden Buch ersetzt er den politischen Diskurs mit Menschlichkeit. Nach all der Realsatire tut Gnarr wieder, was er am liebsten macht: Fragen, Zuhören, Erstaunen.

Er fragt für eine Radiostation auf dem Polizeiposten in der Bronx (New York) an, ob man dort seinen verlorenen Geldbeutel gefunden habe. Er schreibt Bücher. Er spielt. Sein letztes Buch hält Rückschau auf seine Zeit als Bürgermeister. Es erschien in diesem Sommer unter dem Titel:

Hören Sie gut zu und wiederholen Sie: Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte

Das nächste politische Erdbeben in Island ist schwer voraussagbar. Im Untergrund brodelt eine beunruhigend grosse Lava-Gas-Blase. Gestern tagte zum ersten Mal das neue Krisen-Komitee der Zentralbank:

Während unter Island die Lava brodelt, soll dieses Komitee Ideen entwickeln, wie man mit der gesetzlich eingefrorenen Fremdwährunsblase (etwa das dreifache Bruttosozialprodukt von Island) über dem Land umgehen soll.



Ein Präsident der Zentralbank reicht längst nicht mehr: Das neue Komitee tagte gestern

Ein Präsident der Zentralbank reicht längst nicht mehr: Das neue Komitee tagte gestern

Der IWF fordert strengste Unabhängigkeit. Das wird in einem Land, wo jeder jeden kennt, schwierig werden. Das gestand auch der Präsident der Nationalbank und seine Kommission heute ein.

Hört man hier in Reykjavik, was da finanziell noch kommen könnte, schaut man lieber auf geologischen Erdbebenvorhersagen. Sie wirken irgendwie sicherer und sehen zur Zeit so aus:

In Reykjavik finden zur Zeit auf der Richterskala nur ganz ganz kleine Erdbeben statt, vergleichbar etwa, wenn der Nachbar niesen muss.

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