Ohne die Eröffnung neuer Kapitel im EU-Beitrittsprozess wird die Türkei der EU den Rücken kehren. Dies erklärte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag in einer Rede nach seiner Rückkehr in die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP).
«Ihr habt keine andere Wahl, als Kapitel zu eröffnen, die ihr noch nicht eröffnet habt», sagte er deutlich an die Adresse der EU. Andernfalls heisse es «Auf Wiedersehen». Schliesslich sei die Türkei nicht «der Lakai» Europas.
Die Beziehungen zu den EU-Staaten waren im Wahlkampf für das umstrittene Verfassungsreferendum vom 16. April auf einen Tiefpunkt gesunken. Erdogan überzog Deutschland und die Niederlande mit Nazi-Vorwürfen, nachdem dort Auftritte türkischer Minister abgesagt worden waren.
Zudem bezeichnete er Europa als «verrottenden Kontinent» und brachte ein Referendum über den Beitrittsprozess ins Gespräch. Er wirft dem Staatenbund regelmässig vor, die Türkei seit einem halben Jahrhundert an seiner Tür warten zu lassen. Die EU verlangt aber eine Rückkehr zum Reformkurs, um die Beitrittsgespräche fortsetzen zu können.
Für Besorgnis sorgt in Europa das harte Vorgehen Erdogans gegen seine Gegner sowie der Übergang zum Präsidialsystem, das laut der Opposition zu einer autoritären Ein-Mann-Herrschaft führen wird. Auch der Europarat warnt vor einer Aushöhlung von Demokratie, Bürgerrechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung durch den Systemwechsel.
Wiedereintritt in AKP
Gut zwei Wochen nach seinem Sieg bei dem Verfassungsreferendum trat Erdogan am Dienstag in Ankara wieder der AKP bei. «Er kehrt ins Nest zurück, in die AKP, die er gegründet hat», sagte AKP-Chef Binali Yildirim bei einer feierlichen Zeremonie in der Parteizentrale in Ankara, die live im Fernsehen übertragen wurde.
Erdogan unterzeichnete ein Dokument, das seine Rückkehr in die Partei besiegelt, die der vierfache Vater einmal als «fünftes Kind» bezeichnet hat. Daraufhin brachen die hunderten Parteimitglieder im Saal in Applaus aus und stimmten die Nationalhymne an.
Yildirim kündigte zudem an, Erdogan am 21. Mai bei einem Sonderparteitag wieder für den Parteivorsitz zu nominieren. Es gilt als sicher, dass Erdogan dann wieder AKP-Chef wird.
Die bei dem Referendum am 16. April mit knapper Mehrheit von 51,4 Prozent angenommene Verfassungsänderung erlaubt es dem Präsidenten, künftig wieder einer Partei anzugehören. Erdogan hatte die islamisch-konservative Partei 2001 mitbegründet, sie nach seiner Wahl ins Präsidentenamt im August 2014 jedoch verlassen müssen.