Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat womöglich das mit dem EU-Flüchtlingspakt verknüpfte Ziel aufgegeben, schon ab Ende Juni Visa-Freiheit für seine Bürger zu erreichen: Er wünsche die Aufhebung der Visums-Pflicht für «spätestens Oktober».
Dies hätte die EU im letzten November versprochen. «Ich hoffe, dass sie ihr vorher gegebenes Wort halten und dass sie spätestens im Oktober einen Schlussstrich unter diese Angelegenheit ziehen», sagte Erdogan weiter.
Im November hatten die türkische Regierung und die EU-Staats- und Regierungschefs verabredet, die Visums-Pflicht für Türken im Oktober aufzuheben, sollte Ankara bis dahin 72 Kriterien erfüllt haben. Als Gegenleistung für die Rücknahme aller neuen Flüchtlinge von den griechischen Inseln verlangte Ankara dann im Frühjahr unter anderem, dass das Datum für den Fall des Visums-Zwangs auf Ende Juni vorgezogen werde.
Die EU ging darauf ein, verlangt aber weiterhin die Erfüllung aller 72 Kriterien. Das Abkommen war vom scheidenden Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu mit der EU ausgehandelt worden.
EU-Parlament schaltet auf stur
Das EU-Parlament befürchtet jedoch, dass die EU-Staaten die Visa-Liberalisierung der Türkei auch dann geben wird, wenn noch nicht alle Kriterien erfüllt sind. Daher verweigerte der zuständige Parlamentsausschuss am Dienstag die von der EU-Kommission erbetene rasche Beratung über das Thema.
Man werde sich damit erst dann befassen, wenn die Türkei alle Vorbedingungen für eine visumfreie Einreise erfüllt habe. «Und dazu gehören auch die Anti-Terrorgesetze», sagte der Vorsitzende der Liberalen-Fraktion, Guy Verhofstadt, in Strassburg.
«Wir werden dafür sorgen, dass es keine bedingungslose Visa-Liberalisierung gibt», sagte auch die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Rebecca Harms. Und der Vorsitzende der Fraktion der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, betonte: «Damit fordern wir nicht mehr als im Flüchtlingspakt vereinbart wurde.»
Erdogan beschuldigt EU
Das breit angelegte türkische Anti-Terrorgesetz erlaubt etwa die Verfolgung von Journalisten und Akademikern ohne präzise Terrorismus-relevante Vorwürfe. Erdogan kritisierte am Dienstag erneut diese Forderung seitens der EU. Diese sei ein «Desaster», sagte er. Er hoffe, dass die EU die Visumfreiheit bis spätestens Oktober umsetze.
Erdogan drehte den Spiess um, forderte die EU selbst dazu auf, ihre Gesetze im Anti-Terror-Kampf ändern. Denn diese duldet aus seiner Sicht Ausbildungslager für «Terroristen».
Die EU sei ein «sicherer Hafen» für Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. In einem europäischen Land gebe es zudem Lager, in dem «Terroristen» mit Waffen ausgestattet und ideologisch unterstützt würden, sagte Erdogan ohne zu sagen, welches Land er genau meinte.