Ein Taucher entdeckt in einem schwer zugänglichen Höhlensystem im Bodenseeraum einen unscheinbaren Fisch. Er ist aus wissenschaftlicher Sicht etwas ganz Besonderes.
Der aussergewöhnliche Fund wirkt auf den ersten Blick unscheinbar: Der wenige Zentimeter grosse und ziemlich farblose Fisch schwimmt langsam in einem Becken des Limnologischen Instituts der Universität Konstanz hin und her. Ab und an bohrt er die Nase in die Steine am Boden oder wackelt mit der Schwanzflosse.
Trotzdem: Der Fisch, eine Schmerle, ist etwas Besonderes. Er ist der erste bekannte Höhlenfisch in Europa. Erstmals gesichtet wurde er 2015 von einem Taucher in einem schwer zugänglichen Höhlensystem im Bodenseeraum.
Dort leben die Fische isoliert von anderen Schmerlen. Bis zur Fundstelle brauchen Profis etwa eine Stunde, sie müssen gegen die Strömung in den gefluteten Höhlen schwimmen. Nun hat ein Team aus Höhlentauchern und Forschern der Universitäten Konstanz und Oldenburg sowie dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin den Fisch genauer untersucht. Ihre Ergebnisse haben sie in der Zeitschrift «Current Biology» veröffentlicht.
Bisher nördlichste Fundstelle
«Das ist die eine Sensation: der erste europäische Höhlenfisch», sagt die Konstanzer Limnologin Jasminca Behrmann-Godel. «Und ausserdem ist es auch der bisher am nördlichsten entdeckte Höhlenfisch.»
Den bisherigen Rekordhalter hatten US-Kollegen in Pennsylvania entdeckt, am 41. Breitengrad. «Es wurde spekuliert, dass nördlicher gar keine Höhlenfische mehr vorkommen können, da dort während der letzten Eiszeit alles vereist war. Das haben wir im Prinzip mit dem Fund widerlegt.» Zur Orientierung: In Europa liegt beispielsweise die italienische Stadt Neapel nahe dem 41. Breitengrad.
Nach ersten Erkenntnissen der Forscher ist die Schmerle vermutlich vor rund 20’000 Jahren aus der Donau in das Höhlensystem bei Aach im Kreis Konstanz eingewandert – nach dem Ende der Würmeiszeit. Die Verwandtschaftsverhältnisse der neu entdeckten Höhlenfische werden derzeit noch untersucht. Behrmann-Godel vermutet, dass einige Donau-Bachschmerlen (Barbatula barbatula) mit Versickerungswasser eingeschwemmt wurden und sich in den Höhlen niedergelassen haben.
Kleine Augen, grosse Barteln
In den vergangenen 20’000 Jahren – evolutionsbiologisch ein kurzer Zeitraum – haben sich die Fische an das Leben in dunklen Höhlen angepasst. Die Tiere hätten etwa kleine Augen, sagt Jörg Freyhof vom IGB. Dafür seien die Nasenlöcher grösser und die Barteln – Fortsätze am Maul – verlängert, damit die Fische besser riechen und schmecken können. Zudem wurden die Pigmentzellen reduziert.
Dass der Fisch überhaupt entdeckt wurde, sei im Wesentlichen dem guten Auge von Joachim Kreiselmaier zu verdanken, sagt Behrmann-Godel. Der Taucher war im Sommer 2015 in dem Höhlensystem unterwegs, sah den Fisch, wunderte sich und machte sicherheitshalber ein paar Aufnahmen.
Kreiselmaier zeigte die Bilder Behrmann-Godel, die ihn bittet, ein lebendes Exemplar zu beschaffen. Das dauert, denn das Tauchen in der Quelle ist kompliziert. Erst maximal 30 Taucher seien an der Fundstelle gewesen, sagt Kreiselmaier. Das Höhlensystem sei stark verzweigt und die Sicht sehr schlecht. Erst im November 2015 gelingt es dem Taucher, Höhlenfische zu fangen.
Bislang haben die Forscher fünf Exemplare. «Das ist natürlich eine sehr geringe Zahl», sagt Behrmann-Godel. «Wir hoffen, dass wir da irgendwann mehr kriegen.» Denn der Fund wirft weitere Fragen auf. «Gibt es zum Beispiel noch einen Tag-Nacht-Rhythmus? Interessieren sie sich noch für Verstecke wie die oberirdischen Bachschmerlen? Wie finden sie ihre Nahrung? Wie finden sie ihre Paarungspartner?»