«Erstickte Träume» – Theaterpremiere in St. Gallen

Am Freitagabend hatte in der St. Galler Lokremise das Schauspiel «Erstickte Träume – St. Gallens stilles Erbe» Premiere. Die junge St. Galler Autorin Rebecca C. Schnyder beschäftigt sich darin mit den Folgen der Stickereikrise.

Isaak Gröbli (Bruno Riedl), Erfinder der Schifflistickmaschine und prägende Figur der Stickereizeit, im Schauspiel «Erstickte Träume», einer Auftragsarbeit des Theaters St.Gallen. (Bild: sda)

Am Freitagabend hatte in der St. Galler Lokremise das Schauspiel «Erstickte Träume – St. Gallens stilles Erbe» Premiere. Die junge St. Galler Autorin Rebecca C. Schnyder beschäftigt sich darin mit den Folgen der Stickereikrise.

War das nun eine Geschichtslektion? Oder vor allem eine gewiefte Demonstration theatralischer Mittel? Eines war die Premiere des Schauspiels «Erstickte Träume» der Autorin Rebecca C. Schnyder in der Lokremise am Freitagabend auf jeden Fall: kurzweilig und unterhaltend.

Die entscheidende Frage ist allerdings eine andere: Gelang es in den knapp 75 Minuten des Stücks, den Bogen zur Gegenwart zu schlagen – von der Stickereikrise, die vor rund hundert Jahren die Blütezeit von St. Gallen beendete, bis hin zur aktuellen Befindlichkeit der grössten Ostschweizer Stadt?

Einfallsreiche Inszenierung

Die Inszenierung durch Elisabeth Gabriel geizte nicht mit Einfällen: Das Stück begann, indem das Publikum durch «Museumsführerinnen» in den Theatersaal geleitet wurde. Von der Decke hingen ein Dutzend Schneiderpuppen, im Hintergrund der Bühne war eine historische Handstickmaschine aufgestellt.

Über Lautsprecher erinnerten Stimmen an die grosse Zeit der St. Galler Stickerei und damit an die Jahre zwischen 1860 bis zum ersten Weltkrieg, als Erfindungsgeist und Kreativität der St. Galler Textilindustriellen zu grossem Reichtum führte – und zu ebenso grossen Plänen für die Stadt.

Dramatischer Einbruch

Das Schauspiel, ein Auftrag des Theaters St. Gallen an die Autorin, entwickelte sich nach dem etwas methodisch-didaktischen Start zu einem Streifzug durch die Stickereigeschichte. Es traten Figuren auf, die symbolisch den Aufstieg – und vielleicht auch den Abstieg – verkörperten: Etwa Isaak Gröbli (Bruno Riedl), der Erfinder der Schifflistickmaschine. Zeitweise glich das Stück einer bunten Revue, dann wieder wurde es sozialkritisch: Die geschundenen Sticker, die in der Krise alles verloren hatten, skandierten: «Nie mehr Stoffe!»

Karger Boden für Visionen

Den Bezug zur Gegenwart personifizierte Alex (Dominik Kaschke), Abkömmling einer Textildynastie, der mit seinen Ideen im heutigen St. Gallen auf Skepsis und Ablehnung stösst. «Ein karger Boden für Visionen», lautete der Befund.

Den fehlenden Mut ortet die Autorin als direkte oder indirekte Folge der Stickereikrise. Die Stadt, der «glänzende Wurm im schmalen Tal» war dafür bestraft worden, dass sie sich zu gross dachte – und wohl auch zu sehr auf einen einzigen Industriezweig setzte. «Wir haben uns die Zukunft erstickt», heisst es zweideutig. Und: «Diese Stadt ist zum Stillstand gekommen.»

Stadt ohne Ehrgeiz

Die in St. Gallen lebenden Rebecca C. Schnyder (Jahrgang 1986) stellt damit zwei Thesen auf: Die eine lautet, dass in St. Gallen Innovation und Kreativität einen besonders schweren Stand haben, dass es der Stadt an Ehrgeiz fehlt. Dafür lassen sich Belege finden – aber auch das Gegenteil. Das Urteil bleibt dem Publikum überlassen: Es muss sein eigenes Bild am Urteil der Autorin messen.

Die andere These ist, dass dieser Zustand eine Folge der Stickereikrise ist – und nicht etwa der topografischen Lage oder des konservativen Umlands. Dies wird im Stück nur ansatzweise belegt.

Eine Herleitung wäre vielleicht auch schwierig: Zur Stickereiblüte gibt es in St. Gallen ausserhalb des Textilmuseums nur noch wenig Kontinuität – ausser in einigen Prachtbauten oder allenfalls noch beim CSIO mit seiner Kombination von Modeschauen und dem Reitsport, dem früher die Textilbarone frönten.

Damit bleibt auch die Überprüfung der zentralen Aussage des Stücks, nämlich dass ein einschneidender wirtschaftlicher Einbruch auch fünf Generationen später noch Folgen für die «Psyche» einer Stadt haben kann, dem Publikum überlassen.

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