Fünfmal konnte Estland bei der Präsidentenwahl kein neues Staatsoberhaupt ermitteln. Im sechsten Anlauf hat es endlich geklappt: Mit Kersti Kaljulaid wird erstmals eine Frau das höchste Staatsamt in dem Baltenstaat bekleiden.
Bei der erneuten Abstimmung am Montag wählten 81 der 98 abstimmenden Abgeordneten im Parlament in Tallinn die 46-jährige Kaljulaid zur Präsidentin. Die bisherige estnische Vertreterin beim Europäischen Rechnungshof wird damit als erste Frau das höchste Staatsamt des baltischen EU- und NATO-Landes übernehmen.
Kaljulaid erreichte als Kompromisskandidatin auf Anhieb die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit in der Volksvertretung Riigikogu, die nach der wiederholt gescheiterten Wahl zu einer Sondersitzung zusammengekommen war. 17 Wahlzettel wurden leer abgegeben.
Unter Applaus nahm die parteilose Bewerberin die Wahl an. Auch der amtierende Präsident Toomas Hendrik Ilves, der nach zwei fünfjährigen Amtszeiten nicht mehr kandidieren konnte, übermittelte seine Glückwünsche. Zu den ersten ausländischen Gratulanten gehörten die Präsidenten der Nachbarstaaten Lettland und Litauen.
Repräsentatives Amt
«Ich möchte mit den Menschen in Estland sprechen. Das ist für mich das Wichtigste», sagte die bisher politisch weitgehend unbekannte Kaljulaid nach ihrer Wahl vor Journalisten. Ihre Einführung in das vorwiegend repräsentative Amt ist für den 10. Oktober geplant. In Estland wird sie dem bürgerlich-konservativen Lager zugerechnet.
Aussenpoltisch will sie die «sehr guten Beziehungen» zu den baltischen Staaten fortführen. Zu EU-Fragen äusserte sich Kaljulaid nach ihrer Wahl nicht. In Interviews plädierte sie wie Ilves für eine harte Haltung gegen Nachbar Russland, dessen Vorgehen in der Ukraine-Krise in der Ex-Sowjetrepublik für Beunruhigung gesorgt hat.
Mit der Wahl von Kaljulaid, die vom Ältestenrat des Parlaments als Kompromisskandidatin vorgeschlagen worden war, endet in Estland eine wochenlange Hängepartie. Die sechs Parlamentsparteien hatten sich Ende August in drei Wahlrunden nicht auf einen Bewerber einigen können. Auch ein speziell einberufenes Wahlgremium hatte keinen Konsens erzielen können. Daher musste das Parlament erneut abstimmen.