Der Markt für Satellitentransport gilt als sehr zukunftsträchtig. Mit der neuen Trägerrakete Ariane 6 will Europa im lukrativen Wettbewerb mitbieten.
Klimawandel, Erdbeben, Flutwellen – Naturkatastrophen sind für Jan Wörner eindrucksvolle Beispiele für die Notwendigkeit der Raumfahrt. Der Chef der Europäischen Weltraumorganisation ESA sieht die Antworten für viele irdische Fragen in der Arbeit von Satelliten im Weltraum – und damit beim neuen Lastenträger Ariane 6. «Die Rakete ist die Basis für alles, was wir im All vorhaben», sagt Wörner.
Die ESA lässt sich den Kampf um lukrative Aufträge viel Geld kosten: Der eigens geschaffene Zusammenschluss Airbus Safran Launchers soll die neue Ariane-Rakete für 2,4 Milliarden Euro (rund 2,6 Milliarden Franken) bauen. Die Industrie ist mit umgerechnet 654’000 Franken dabei.
«Die Rakete wird gebaut»
Im Juni steht für die Ariane bei den 22 ESA-Vertragsstaaten – darunter auch die Schweiz – noch einmal eine Prüfung an, bis Jahresende sollen erste Produktionsbeschlüsse fallen. Wörner macht dennoch klar: «Die Ariane 6 ist kein Traum, sondern die Rakete wird gebaut.»
Er rechnet zum Jahresende mit dem Auftrag für zunächst 15 Exemplare, verweist aber gleichzeitig auf die Zuständigkeit von Airbus Safran Launchers in dieser Frage. Alain Charmeau, Chef des Zusammenschlusses, mochte da am Mittwoch lieber keine Zahlen nennen.
Identische Daten haben beide für den Start der ersten Rakete. 2020 soll erstmals eine Ariane 6 vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou abheben, ein Jahr später ist der erste kommerzielle Flug geplant. Bis 2023 schliesslich soll das Programm komplett laufen. Dann rechnet Wörner mit jährlich zehn bis zwölf Starts der neuen Rakete von französische Guayana in Südamerika aus.
Raketenfamilie für Flexibilität
Die ESA setzt bei ihrer Zukunftsplanung nicht allein auf die Ariane 6. «Wir brauchen eine Raketenfamilie», sagte Wörner, «nicht nur wegen der Konkurrenz, sondern auch, um flexibel zu sein.» Die kleine Vega gehört zum europäischen Bestand, hinzu kommt die russische Sojus.
Die erste Stufe der Vega C soll an der Ariane in Form von zwei beziehungsweise vier Boostern für den notwendigen Startschub sorgen. Solche Synergien sind ein wichtiger Punkt beim Ziel Kostenersparnis.
Mit Blick auf die internationale Konkurrenz soll der neue Lastenträger auch jenseits staatlicher Aufträge konkurrenzfähig bleiben. «Wir wollen die Kosten pro Kilo Fracht um 50 Prozent gegenüber der Ariane 5 reduzieren», sagt Wörner bei den Raketenentwicklern in Les Mureaux bei Paris.
Wettbewerb um lukrativer Zukunftsmarkt
So will die ESA die Wettbewerbsfähigkeit von Europas Raketenindustrie im als lukrativ geltenden Satellitenmarkt sichern. US-Unternehmen wie SpaceX oder Blue Origin machen mit ihren Konzepten enormen Preisdruck.
Entwicklungen der Ariane 5 fliessen deswegen etwa in die erste Stufe der Ariane 6 ein und werden neu gestaltet. «Space 4.0» heisst es bei Wörner, wenn neue Technologien integriert werden. Ein wichtiges Teil der Ariane 6 kommt zum Beispiel aus dem 3-D-Drucker.
«Die Rakete ist mehr als nur ein neue Hülle», sagt Wörner. Zur Reduzierung der Produktionskosten sollen zudem die einzelnen Elemente der neuen Rakete in Kourou horizontal zusammengesetzt werden. Die Ariane 5 wird noch aufrecht stehend montiert.
Patrick Bonguet, Chef des Ariane-6-Programms, beschreibt den kostensparenden Effekt: «Das ist viel einfacher. Wir brauchen zum Beispiel keine Kräne. Zudem werden Probleme sofort sichtbar, weil die Teams nicht isoliert auf ihren Plattformen in grosser Höhe arbeiten.»
Selbstständiger Zugang zum All
Der neue Lastenträger ist aus ESA-Sicht die Grundlage für einen selbstständigen Zugang Europas zum Weltall. «Wir müssen immer nach einem europäischen Weg suchen», sagt Wörner, «die Rakete ist die Basis für alles, was wir im All vorhaben.»
Der ESA-Chef blickt bereits in die Zukunft: «Heute kann keiner sagen, wie der Satellitenmarkt in zehn Jahren aussieht.» Deswegen müsse das Trägerangebot flexibel sein, «damit es für den Markt von morgen gut ist».
Und neue Entwicklungen sind notwendig. «Die Ariane 6 ist nicht die Rakete für die nächsten 100 Jahre.» Deswegen setzt die ESA bereits auf neue Entwicklungen – und Wörner sucht nach entsprechenden Finanzmitteln bei den ESA-Staaten.