Bei der ersten freien Präsidentschaftswahl in Tunesien liegt Ex-Ministerpräsident Béji Caïd Essebsi nach Angaben seiner Partei vorne. «Essebsi hat nach ersten Ergebnissen einen klaren Vorsprung», verkündete sein Wahlkampfleiter am Sonntagabend in Tunis.
Der 87-jährige Kandidat der säkularen Partei Nidaa Tounès habe «nur knapp» eine absolute Mehrheit verfehlt, sagte der Wahlkampfleiter weiter. Eine Stichwahl im Dezember sei wahrscheinlich. Erste Schätzungen sehen Übergangsstaatschef Moncef Marzouki an zweiter Stelle.
Der offizielle Fernsehsender Tunisia 1 blendete während seiner Wahlsendung Prognosen ein, wonach Essebsi auf fast 48 Prozent kommt und Marzouki auf knapp 27 Prozent. Andere Umfragen sehen einen geringeren Abstand zwischen beiden Kandidaten.
Verpassen beide Kandidaten die absolute Mehrheit, wird es am 28. Dezember eine Stichwahl geben. Die Präsidentenwahl soll den nach der Jasminrevolution vor fast vier Jahren eingeleiteten Weg Tunesiens in die Demokratie abschliessen.
Mässige Wahlbeteiligung
Die erste demokratische Direktwahl eines Präsidenten konnte die Massen jedoch nicht mobilisieren. Am Sonntagnachmittag hatten lediglich rund 32 Prozent der registrierten Wähler ihre Stimme abgegeben.
Essebsi konnte sich bereits im Vorfeld der Wahlen gute Chancen ausrechnen, Staatschef zu werden. Die islamistische Ennahda hat keinen Kandidaten ins Rennen geschickt, um das Land nicht weiter zu spalten, wie die Partei erklärte.
Neben Essebsi waren auch Übergangsstaatschef Marzouki sowie der Linkspolitiker Hamma Hammami die wichtigsten Kandidaten im Rennen. Insgesamt waren mehr als fünf Millionen registrierte Wahlberechtigte zur Teilnahme aufgerufen. Landesweit sicherten 100’000 Polizisten und Soldaten die Abstimmung in dem nordafrikanischen Land gegen Terroranschläge ab.
Demonstration gegen Übergangspräsident Marzouki
Nach Angaben aus den Reihen von Marzouki versuchten dessen politische Gegner, den Übergangsstaatschef bei der Stimmabgabe anzugreifen. Das Wahllokal in El Kantaoui rund 140 Kilometer südlich von Tunis sei von Anhängern der säkularen Partei Nidaa Tounès angegriffen worden, erklärte am Sonntagabend Marzoukis Wahlkampfteam.
Ein AFP-Korrespondent sagte, es habe vor dem Wahllokal eine Demonstration gegen Marzouki gegeben. Es sei aber zu keinen gewaltsamen Zwischenfällen gekommen.
Verzögerungen in Grenzgebieten zu Algerien
Tunesische Wahlbeobachter berichteten vereinzelt von Stimmenkäufen und anderen Versuchen, Wähler zu beeinflussen. Aus europäischen Wahlbeobachterkreisen hiess es, dass die Abläufe ein wenig besser als bei der Parlamentswahl vor einem Monat seien.
Der Leiter der Abteilung Nahost und Nordafrika des Internationalen Republikanischen Instituts (IRI) und Wahlbeobachter Scott Mastic sagte der Nachrichtenagentur dpa, der Tag sei im positiven Sinne «ereignislos» gewesen. Die Vorbereitung der Wahlhelfer habe gut funktioniert. «Ich hätte mir allerdings mehr Enthusiasmus der Wähler gewünscht.»
In einigen Gebieten nahe der Grenze zu Algerien gab es nach Angaben der Wahlkommission wegen der schwierigen Sicherheitslage Verzögerungen. Die Grenze zum Krisenland Libyen wurde bereits vorab gesperrt. Vorläufige Ergebnisse werden innerhalb von 48 Stunden erwartet.
Tunesien ist das Geburtsland des Arabischen Frühlings. Nach dem Sturz des Langzeitherrschers Zine El Abidine Ben Ali Anfang 2011 begannen auch in Ägypten, Libyen, Syrien und anderen Ländern Massenproteste.