Die EU-Staats- und Regierungschef haben Grossbritannien mehr Zeit gegeben, um den Austritt aus der EU zu erklären. Sie hätten «Verständnis dafür, dass etwas Zeit nötig sei, bis sich der Staub legt», sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach beim EU-Gipfel am Dienstag.
Dennoch hofften die Kollegen des scheidenden britischen Premierministers David Cameron, dass die Austrittserklärung «so schnell wie möglich» erfolge, sagte Tusk weiter.
Weniger Geduld als die Regierungschefs zeigte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er hoffe, dass die offizielle Austrittserklärung durch die nächste britische Regierung «so schnell wie möglich» erfolge. «Das muss beschleunigt werden, wir haben nicht Monate, um zu überlegen, wir müssen handeln», sagte er.
Zum letzten Mal mit Cameron
In den Schlussfolgerungen des Gipfels fand sich nur ein einziger kurzer Satz zum Brexit: «Der Premierminister des Vereinigten Königreichs hat den Europäischen Rat über den Ausgang des Referendums im Vereinigten Königreich informiert.»
Die Briten hatten am Donnerstag bei einer Abstimmung mit knapp 52 Prozent für den Austritt aus der EU gestimmt. Premierminister David Cameron hatte darauf seinen Rücktritt angekündigt, ein Nachfolger soll im Herbst übernehmen. Cameron machte am Dienstag deutlich, dass dies seine letzte Teilnahme an einem EU-Gipfel gewesen sei.
Nach Abschluss des ersten Gipfeltages sprach er aber von einem «positiven, konstruktiven, ruhigen und zielgerichteten Treffen». Die Stimmung sei von «Trauer und Bedauern» geprägt gewesen. «Unsere Partner in der EU sind wirklich traurig, dass wir vorhaben, diese Organisation zu verlassen.» Auch er sei traurig, weil er Grossbritannien in einer reformierten EU habe halten wollen.
Alle Rechte bis zum Schluss
Cameron sagte, er habe viele Zusicherungen erhalten, dass sein Land bis zum Tag seines Austritts ein zahlendes EU-Mitglied mit allen Rechten bleibe. Er sagte erneut, dass erst sein Nachfolger über die Aktivierung des Artikels 50 entscheiden solle, der den Austritt eines Landes aus der EU regelt.
Seine Entscheidung, das Referendum einzuberufen, verteidigte Cameron. «Ich bin aus sehr guten Gründen zur Überzeugung gekommen, dass diese Frage – Grossbritanniens Verhältnis zu Europa und unsere Position in der EU – etwas war, das wir versuchen sollten zu klären.» Es sei richtig gewesen, die Frage der EU-Mitgliedschaft dem Volk zur Entscheidung vorzulegen. «Ich bin ein Demokrat.»
Kritik musste sich Cameron von Juncker anhören, der den Premier für den Brexit mitverantwortlich machte: «Wenn man den Menschen jahrelang, jahrzehntelang sagt, dass mit der EU etwas nicht stimmt, muss man nicht überrascht sein, wenn die Wähler das glauben.»
Hollande will Briten zahlen lassen
Frankreichs Präsident François Hollande bekräftigte, dass er bei den Verhandlungen über den künftigen Zugang Grossbritanniens zum europäischen Binnenmarkt keinerlei Kompromisse akzeptieren will. Wenn das Vereinigte Königreich weiterhin Zugang habe wolle, müsse es die vier Grundfreiheiten respektieren.
Es sei ausgeschlossen, dass Grossbritannien vom freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital profitiere, gleichzeitig aber die Freizügigkeit von Personen einschränke. Zudem werde Grossbritannien wie zum Beispiel das Nicht-EU-Land Norwegen Geld in den EU-Haushalt einzahlen müssen.
EU der 27 trifft sich
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel machte deutlich, dass sie das britische Votum für einen EU-Austritt für unumstösslich hält. «Ich sehe keinen Weg, das wieder umzukehren», sagte sie.
Merkel begrüsste, dass es schon im September einen neuen informellen Gipfel der 27 ohne Grossbritannien geben soll. «Das ist ein guter nächster Schritt.» Am Mittwoch wollten die 27 EU-Chefs erstmals in diesem neuen Format tagen. Thema für dieses Treffen ohne Grossbritannien war vor allem die Zukunft Europas.
Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, warnte in der Spitzenrunde vor den wirtschaftlichen Folgen eines Brexits. Das Wachstum in der Eurozone könne in den nächsten drei Jahren um insgesamt 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte geringer ausfallen als bisher angenommen, warnte der mächtige Notenbanker laut Diplomaten.