Die meisten EU-Staaten lehnen einen Verteilerschlüssel für Flüchtlinge ab. Hingegen einigten sich die EU-Innenminister darauf, in Ausnahmefällen freiwillig von anderen EU-Staaten schutzbedürftige Menschen zu übernehmen.
«Europa steht vor gewaltigen Herausforderungen», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga nach dem EU-Innenministertreffen am Donnerstag in Luxemburg.
Angesichts der vielen Flüchtlinge stossen Länder wie Italien an ihre Grenzen. In der Schweiz tauchen immer mehr nicht registrierte Flüchtlinge auf. Doch gemäss Dublin-Regeln wäre Italien verpflichtet, die Flüchtlinge zu registrieren, damit man diese, wenn sie anderswo auftauchen, zurückbringen kann. Der Bundesrat hatte daher einen Brief nach Brüssel geschickt.
Daher haben die EU-Innenminister Italien und andere Staaten daran erinnert, dass sie gemäss Dublin verpflichtet sind, die Flüchtlinge zu registrieren. Man erwarte eine flächendeckende Registrierung, sagte Sommaruga.
Nur gemeinsame Lösung
Gleichzeitig sei man sich aber auch bewusst, dass «das Problem nur gemeinsam gelöst werden könne», sagte Sommaruga. Daher habe man den gemeinsamen Willen geäussert zu helfen. «Jetzt liegt der Ball bei Italien, seine Bedürfnisse zu formulieren.» Die EU-Kommission wurde beauftragt, einen konkreten Aktionsplan bis Dezember auszuarbeiten.
Die Justizministerin kann sich vorstellen, Italien seitens der Schweiz mit technischen Möglichkeiten oder Personal für die Registrierung zu unterstützen.
Auf einen verbindlichen Verteilerschlüssel konnten sich die Minister hingegen nicht einigen, obwohl dies einige EU-Staaten fordern. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die hinter dieser Forderung steht, sprach davon, dass es «eine grosse Schieflage in Europa» gebe
Die Schweiz ihrerseits zeigte sich offen, über einen Verteilerschlüssel für Flüchtlinge zu diskutieren, unter der Voraussetzung, dass „Italien seinen Verpflichtungen nachkommt“, wie die Justizministerin sagte.
Im europäischen Vergleich verzeichnet die Schweiz überdurchschnittlich viele Asylbewerber. Gemäss einer Statistik des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) steht sie in der Zeitspanne von 2009 und 2013 an siebter Stelle. Spitzenreiter sind Deutschland, Frankreich und Schweden.
Verteilerschlüssel braucht Zeit
Doch würde die Einführung eines solchen Verteilerschlüssels relativ viel Zeit in Anspruch nehmen, die man angesichts der Flüchtlingsströme und des Elends nicht hat. Nach UNO-Angaben versuchten zwischen Januar und September dieses Jahres rund 165‘000 Menschen, das Mittelmeer zu überqueren.
Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière brachte es auf den Punkt: «Das ist im geltenden Recht nicht vorgesehen, deshalb müsste es freiwillig geschehen und sicher auch zeitlich befristet.» Frankreich, Deutschland, Polen, Spanien und Grossbritannien hatten sich bei der EU-Kommission für eine solche flexiblere Lösung stark gemacht.
Ausserdem sind mehrere Länder, die derzeit wenige Asylbewerber aufnehmen, gegen Quoten. Dazu zählen laut EU-Diplomaten etwa die osteuropäischen Länder, aber auch Spanien und Portugal. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström redete den Ministern ins Gewissen: «Wir müssen uns die Verteilungsmechanismen ansehen», sagte sie.
Hingegen konnten sich die Minister darauf einigen, Flüchtlinge – vor allem so genannten Schutzbedürftige – auf freiwilliger Basis zu verteilen, wenn ein Land angesichts der vielen Flüchtlinge in Schwierigkeiten gerät.
Die EU-Minister wurden ausserdem über die italienische Seenotrettungsaktion «Mare Nostrum» informiert, die nach der Flüchtlingstragödie in Lampedusa mit über 360 Toten von Italien eingesetzt worden war. Sie soll nächstens auslaufen und laut dem italienischen Innenminister Angelino Alfano durch die Anfang November startende Operation Triton unter Führung der EU-Grenzschutzagentur Frontex ersetzt werden.
Doch auch Kritik wurde laut: Die Rettungsoperation würde Schlepperbanden animieren, noch mehr Flüchtlinge nach Europa zu bringen. «’Mare Nostrum‘ war als Nothilfe gedacht und hat sich als Brücke nach Europa erwiesen», sagte de Maizière.