EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lehnt eine einvernehmliche Schutzklausel zur Zuwanderungsbeschränkung ab, welche die Schweiz ohne Rücksprache mit EU-Staaten anrufen kann. Das sagte er nach einem Treffen mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga in Brüssel.
«Eine einseitige Schutzklausel kommt nicht in Frage», machte der EU-Kommissionschef am Montag deutlich. Es werde aber zurzeit über den Artikel 14.2 im Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU diskutiert, um eine Regelung zu finden. Man befasse sich zurzeit intensiv damit, was als «schwerwiegende wirtschaftliche oder soziale Probleme» im Abkommen genannt werde, sagte Juncker weiter.
Denn bei solchen Problemen kann gemäss Artikel 14.2 auf Verlangen einer Vertragspartei die Personenfreizügigkeit temporär eingeschränkt werden.
Dies geht jedoch laut Abkommen nur mit Zustimmung der EU-Staaten sowie der EU-Kommission – im so genannten «Gemischten Ausschuss». Die Zuwanderungsinitiative verlangt jedoch von der Schweiz eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung.
Daher möchte die Schweiz klare Kriterien definieren, nach denen sie die Zuwanderung beschränken kann. So wie es zurzeit aussieht, geht das der EU jedoch zu weit. Denn sie will am Schluss einen politischen Entscheid.
Positive Zwischenbilanz
Am Treffen in Brüssel nahm neben Juncker auch der EU-Ratspräsident, der luxemburgische Aussen- und Migrationsminister Jean Asselborn, teil. Luxemburg hat noch bis Ende Jahr die EU-Ratspräsidentschaft inne, dann übernehmen die Niederlande. Mit dem Luxemburger hatte sich Sommaruga bereits Anfang Dezember in Brüssel getroffen, um ihn über den Bundesratsentscheid vom 4. Dezember zur Einführung einer Schutzklausel zu informieren.
Sommaruga ihrerseits zog eine «positive Zwischenbilanz» der letzten zehn Monate, wie sie sagte. Schliesslich habe die EU mit der Schweiz anfangs nicht einmal reden wollen.«Jetzt hat man begonnen, miteinander zu sprechen.»
Ausserdem habe man «einen Ort gefunden, wo mit Interpretation eine Lösung möglich wäre», sagte die Bundespräsidentin mit Verweis auf den Artikel 14.2. Der politische Wille, eine einvernehmliche Lösung zu finden, sei jedenfalls auf beiden Seiten vorhanden.
Ausgang jedoch ungewiss
Doch sie dämpfte gleichzeitig auch die Erwartungen. Die Ausgangslage für eine allfällige Lösung sei verbessert worden, «aber wir haben noch keine Lösung». Ob man am Schluss eine gemeinsame Lösung finden werde, das könne sie heute noch nicht sagen.
«Der Ausgang dieses Prozesses ist offen. Es kann gelingen, es kann aber auch scheitern», betonte Sommaruga. Klar sei hingegen, dass es weiterhin schwierig bleiben werde. «Es wartet weiter sehr viel Arbeit auf uns.»
Eine Notbremse, die im Zusammenhang mit Grossbritannien immer wieder genannt wird, lehnen sowohl Juncker wie auch Asselborn für die Schweiz ab. «Ich vermische diese beiden Dossiers nicht», sagte Juncker. Auch Grossbritannien sieht die hohe Zuwanderung als Problem an.
Schutzklausel auch ohne ja der EU
Nach der Annahme der Initiative im Februar 2014 kühlte sich das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz merklich ab. Die EU-Kommission lehnte zudem die Forderung der Schweiz ab, Verhandlungen zur Anpassung des Freizügigkeitsabkommens Schweiz-EU aufzunehmen.
Um eine mögliche Lösung zu finden, vereinbarten Sommaruga und Juncker im vergangenen Februar, so genannte Konsultativgespräche durchzuführen. Bis anhin gab es zehn Gesprächsrunden. Diese Konsultationen sollen im kommenden Jahr weitergeführt und gar intensiviert werden.
«Wird keine einvernehmliche Lösung mit der EU gefunden, so sieht die Schweiz vor, eine einseitige Schutzklausel in das Ausländergesetz aufzunehmen», heisst es in einem Communiqué des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD).