Ein von der «SonntagsZeitung» veröffentlichter Text des EU-Verhandlungsmandats für das bilaterale Rahmenabkommen mit der Schweiz sorgt hierzulande für Kritik. Vor allem die von Brüssel angestrebten Untersuchungs- und Entscheidungskompetenzen bei der Umsetzung von Abkommen in der Schweiz werden von FDP und SVP zurückgewiesen.
Die 28 EU-Minister hatten am 6. Mai das Mandat zur Aushandlung des Rahmenabkommens mit der Schweiz verabschiedet. Die Kopie des Brüsseler Verhandlungsmandates, das die «SonntagsZeitung» auf ihrer Webseite publiziert, hat weder Unterschriften des EU-Ministerrates noch Datum.
Im siebenseitigen Papier werden zu Handen der EU-Unterhändler die Bedingungen für eine Teilnahme der Schweiz am Binnenmarkt umschrieben. Grundlegend ist, dass die für die Schweiz geltenden Regeln die gleichen sein müssen wie im übrigen Binnenmarkt. Auch Interpretation und Anwendung dürften sich nicht unterscheiden.
Frist für die Schweiz
Diesem Ziel müsse sich das auszuhandelnde Rahmenabkommen unterordnen. Brüssel besteht dabei auf einer «dynamischen Anpassung» aller bestehenden und aller künftigen Abkommen an den sich entwickelnden Aquis der Union. Ein entsprechendes Prozedere soll dies sicherstellen und der Schweiz einen verbindlichen Zeitrahmen für die Implementierung in der Rechtsordnung vorgeben.
Oberste Instanz bei Differenzen ist, wie schon früher von der EU verlangt, der EU-Gerichtshof. Entscheide aus Luxemburg, so das Verhandlungspapier, sind für die Schweiz und die EU bindend. Die Lausanner Bundesrichter wären befugt, die EU-Richter um Vorab-Entscheidungen bei Auslegungsfragen zu ersuchen, wie es für EU-Mitglieder bereits gilt.
Bern auf die Finger schauen
Brisant sein dürfte die Überwachung der Anwendung von bilateralen Verträgen durch Bern. Die EU-Kommission, die sich als Hüterin der EU-Verträge sieht, soll explizit «Untersuchungs – und Entscheidungskompetenzen» bekommen. Diese sollen gleich wie bei den EU-Mitgliedern in Fragen des Binnenmarktes ausgestaltet sein.
Ein weiterer Punkt, der in Bern für Stirnrunzeln sorgen dürfte, ist eine automatische finanzielle Verpflichtung im Rahmen des Kohäsionsfonds. «Das Abkommen soll einen langfristigen finanziellen Mechanismus für den Schweizer Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion innerhalb der EU etablieren», heisst es im Text.
Normalerweise sind solche Verhandlungsmandate streng geheim. Ob es sich beim vorliegenden Text um das endgültig bereinigte und am 6. Mai verabschiedete Mandat handelt, war am Sonntag nicht auszumachen. Zudem stellt sich die Frage, wer Interesse daran hat, öffentlich zu machen, mit welchen Direktiven EU-Unterhändler in die Verhandlungen mit Bern gehen.
Der ehemalige Botschafter der Schweiz bei der EU, Bernhard Marfurt, sagte in der Sendung «Echo der Zeit» von Radio SRF, es sei ein natürlicher Verhandlungsprozess, dass die Positionen am Anfang auseinanderlägen. Es werde darum gehen, sich auf eine für beide Seiten akzeptable, gute Lösung zu einigen.
So wird es nie kommen
Die von Brüssel erhobenen Forderungen an die Schweiz gehen FDP-Präsident Philipp Müller zu weit. «Mit dem Mandat liegt nun die Maximalforderung der EU auf dem Tisch. Unsere Forderungen sind andere», sagte Müller im Interview mit der «SonntagsZeitung».
«So wie die EU das im Mandat skizziert, wird es nie kommen.» Die Schweiz wäre damit «das unsouveränste Land in Europa. Da könnten wir ja gleich beitreten.»
Für CVP-Präsident Christophe Darbellay ist die im Papier beschriebene Aufsichtskompetenz der EU-Kommission «für ein souveränes Land nicht akzeptierbar», wie er auf Anfrage sagte. Die Rolle des EU-Gerichtshofs hält er für heikel, sie würde von den Schweizerinnen und Schweizern nicht goutiert, sagte er auf Anfrage.
SVP fordert Abbruch der Verhandlungen
Für die SVP zeigt das Papier, «dass die EU der Schweiz einen Kolonialvertrag aufzwingen will». Kritisiert wird im Communiqué, dass die Schweiz automatisch bestehendes und künftiges EU-Recht automatisch übernehmen muss und dass das EU-Gericht bei Streitigkeiten alleine entscheidet.
Auch dass die EU-Kommission die Rechtsanwendung in der Schweiz überwachen solle und die Schweiz sich über einen langfristigen finanziellen Mechanismus am Kohäsionsfonds beteiligen müsste, weist die SVP zurück. «Das Aussendepartement von Bundesrat Didier Burkhalter führt also Verhandlungen zur Aufgabe der Unabhängigkeit der Schweiz», folgert die SVP. Solche Verhandlungen seien umgehend zu beenden.
Für den Waadtländer SP-Nationalrat Roger Nordmann ist das Verhandlungsmandat der Preis, den die Schweiz nun für die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar zahlen muss. Damit habe sich die Schweiz in eine unmögliche Situation manövriert, bedauerte Nordmann in der Sendung «Forum» des Westschweizer Radios RTS. Die Schweiz könnte in eine Situation gelangen, die deutlich weniger vorteilhaft wäre, als wenn sie Mitglied der EU sei. Dies, weil sie ihre Interessen nicht bei den europäischen Instanzen verteidigen könne.