Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll nach Ansicht des Bundesrates in Zukunft über die bilateralen Verträge mit der EU richten – jedoch nur unverbindlich. Zu einer solchen Rolle äussert sich EuGH-Präsident Vassilios Skouris in einem Interview kritisch.
Der griechische Richter Skouris will den Schweizer Vorschlag in einem am Donnerstag in den Zeitungen «Tages-Anzeiger» und «Der Bund» veröffentlichten Interview zwar nicht direkt kommentieren. Dereinst werde das Gericht einen allfälligen Vertrag möglicherweise überprüfen müssen, sagte er. Deshalb wolle er sich zurückhalten.
Zur grundsätzlichen Verbindlichkeit von Gerichtsentscheiden äusserte sich Skouris aber deutlich: «Entscheide sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Parteien, die sich an ein Gericht gewandt haben, binden», sagte er. Ein Entscheid ergebe sonst keinen Sinn. Wer ein Gericht anrufe, wolle eine verbindliche Antwort zur Streitlösung.
Verbindlichkeit auf EU-Seite unbestritten
In der EU seien Gutachten des EuGH verbindlich, hielt Skouris fest. Das würde laut Skouris heissen, dass die EU-Organe einen Vertrag zwischen der Schweiz und der EU nicht in Kraft setzten dürften, wenn er nach einem EuGH-Befund gegen EU-Recht verstösst.
Skouris bejahte zudem, dass der Gerichtshof an seiner früheren Rechtsprechung festhalte, wonach er keine unverbindlichen Einschätzungen abgeben wolle. Auch in der EU müssen die Mitgliedsstaaten gewisse Gesetze dem EuGH zur Begutachtung vorlegen.
Dass der Gerichtshof eine Rolle in der Überwachung der Verträge zwischen der Schweiz und der EU einnehmen könnte, ist für Skouris nicht undenkbar. «Völkerrechtliche Verträge, an denen die EU beteiligt ist, werden von jeher von uns interpretiert, ohne dass jemand Anstoss daran genommen hat», sagte er.
Die Frage der Unabhängigkeit stellt sich aus seiner Sicht nicht. «Der EuGH ist unabhängig und nur dem Recht verpflichtet, was er in der Vergangenheit oft genug bewiesen hat.»
Suspendierung hinnehmen
Seit längerem drängt die EU darauf, dass die bilateralen Verträge mit der Schweiz im Streitfall von einer unabhängigen Gerichtsinstanz ausgelegt werden. Das ist heute nicht der Fall.
Im Hinblick auf Verhandlungen schlägt der Bundesrat vor, dass der EuGH als Gutachter dienen soll, falls sich die Schweiz und die EU nicht einigen können, wie ein Vertrag auszulegen ist. Allerdings will sich der Bundesrat die Möglichkeit offen halten, einen Entscheid nicht umzusetzen, wenn dieser nicht genehm ist. In diesem Fall würde die EU ein Abkommen allenfalls suspendieren.
Zum bundesrätlichen Verhandlungsmandat läuft derzeit eine Konsultation. Zuletzt hiess die Aussenpolitische Kommission des Ständerats den Entwurf zwar grundsätzlich gut. Allerdings kam es zu kontroversen Diskussionen.
Vor allem in konservativen Kreisen ist der Widerstand gegen den Lösungsvorschlag gross. Die Rede ist von «fremden Richtern». Als Alternativvorschlag gilt beispielsweise das Andocken an bestehende EFTA/EWR-Institutionen. Befürworter dieser Lösung rechnen sich dort mehr Einfluss für die Schweiz aus.
Zu Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU könnte es im kommenden Jahr kommen. Nicht nur die Schweiz, sondern auch die EU muss ihr Verhandlungsmandat noch verabschieden.