Die EZB versucht weiter fast verzweifelt, die Wirtschaft im Euroraum anzukurbeln. Notenbankchef Mario Draghi gab am Donnerstag drei Entscheidungen bekannt: Senkung des Leitzinses, neue Anreize für Banken zum Geldverleihen und Start eines Kaufprogramms für Wertpapiere.
Vor allem die Entscheidung zur Senkung des Leitzinses von 0,15 auf nur noch 0,05 Prozent überraschte Experten, obwohl vorab viel über die sehr niedrigen Wachstumsraten im Euroraum, die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Mitgliedsstaaten und die sehr geringe Inflation debattiert worden war.
Alles zusammen steht für eine sehr schwache Wirtschaftsentwicklung. Die EZB hatte zuletzt ihre Wachstumsprognose für 2014 von 1,0 auf 0,9 Prozent gesenkt. Statt von 0,7 Prozent durchschnittlicher Inflation geht sie nun nur noch von 0,6 Prozent aus. Zielmarke sind eigentlich etwa zwei Prozent.
Die Senkung des Leitzinses bedeutet, dass sich Banken nun von der Zentralbank so billig wie nie zuvor in der Geschichte der Gemeinschaftswährung Geld beschaffen können. Ziel der Zentralbank ist es, so auch Unternehmen und Bürgern einfacher Kredite zugänglich zu machen.
Höhere Strafzinsen für Banken
Dazu soll auch die zweite Entscheidung der EZB dienen: Der Strafzins für Banken wird verschärft. Die Institute bekommen keine Zinsen, wenn sie Geld bei der Zentralbank parken; seit Juni müssen sie sogar erstmals dafür zahlen. Dieser Strafzins wurde nun von 0,1 auf 0,2 Prozent erhöht. Das soll Anreize liefern, das Geld nicht bei der Notenbank zu bunkern, sondern in Form von Krediten zu vergeben.
Darüber hinaus setzt die EZB auf ein drittes Element: Wie Draghi sagte, will sie ab Oktober kreditbesicherte Wertpapiere – sogenannte ABS (Asset Backed Securities) – und gedeckte Anleihen aufkaufen. Der Aufkauf durch die Zentralbank soll den Markt für solche Papiere beleben und in der Folge den Banken einen weiteren Anreiz bieten, Kredite zu gewähren.
Draghi behält sich weitere Schritte vor
Der Kauf von Staatsanleihen – wie ihn die US-Notenbank Fed in riesigem Umfang betrieben hat – ist vorerst nicht vorgesehen. Angesichts wachsender Deflationsrisiken hält sich die Europäische Zentralbank (EZB) aber auch diese Massnahme offen.
Sollte eine zu lange Phase niedriger Inflation drohen, sei der EZB-Rat zu weiteren unkonventionellen Massnahmen entschlossen, sagte Notenbankchef Mario Draghi am Donnerstag vor der Presse in Frankfurt Ein solches unkonventionelles Vorgehen – im Fachjargon «Quantitative Easing» (QE) genannt – dient als letztes Mittel, um eine Deflation zu verhindern.
Dafür könnte die EZB laut Draghi beispielsweise öffentliche Schuldtitel wie etwa Staatsanleihen oder auch private Papiere in grossem Stil aufkaufen. Auch ein Programm zum Ankauf beider Wertpapierarten sei möglich, betonte Draghi.
Kritik vom ifo-Chef Hans-Werner Sinn
Die Reaktionen zu den Entscheiden der EZB fallen unterschiedlich aus. Thomas Flury, Devisenspezialist der UBS bewertet die Massnahmen positiv. «Die Schweiz kann froh sein, dass die EZB etwas gegen eine mögliche Deflation unternimmt.» Wenn die europäischen Behörden richtig handeln, werde sich das mittelfristig auf die Schweizer Wirtschaft positiv auswirken.
Ganz anders beurteilt Hans-Werner Sinn vom ifo die Massnahmen. Der Chef eines der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute kritisiert den Kurs der EZB. Die erneute Leitzinssenkung werde «wirkungslos» sein, teilte Sinn am Donnerstag in München mit. «Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt.» Nun sei sie in einer «Liquiditätsfalle».
Der ifo-Präsident kritisierte zudem, dass sich «bedauerlicherweise» auch der Kauf von Anleihen durch die EZB andeute. «Damit würde sie das Investitionsrisiko der Anleger übernehmen, wozu sie nicht befugt ist, weil es sich dabei um eine fiskalische und keine geldpolitische Massnahme handelt.» Eine solche Politik ginge zulasten der Steuerzahler Europas.
Börsen im Aufwind
Die Anleger reagierten auf die Ankündigungen der EZB positiv. So stieg der deutsche Aktienindex DAX am Nachmittag um 0,77 Prozent auf 9700 Punkte. Der Schweizer Aktienindex SMI erhöhte sich um 0,3 Prozent auf 8829 Punkte. Zusammen mit den starken US-Konjunkturdaten gaben die Lockerung der EZB-Geldpolitik auch den US-Börsen Auftrieb. Der Dow Jones steigt um 0,5 Prozent auf ein Rekordhoch.
Unter Druck dagegen geriet der Euro. Gegenüber dem Franken fiel die Gemeinschaftswährung auf ein 21-Monatstief. Mit 1,2044 Franken ist sie so billig wie zuletzt Anfang Dezember 2012. Parallel dazu fällt die Gemeinschaftswährung auf ein 14-Monats-Tief von 1,2994 Dollar.