Die EU-Wertpapieraufsicht darf in Europa hochspekulative Börsengeschäfte verbieten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wies überraschend eine Klage der britischen Regierung ab, die die Kompetenzen der EU-Behörde ESMA beim Verbot sogenannter Leerverkäufe überschritten sah.
Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die ESMA im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt habe, als sie diese riskanten Wetten auf fallende Kurse untersagt hatte.
Bei Leerverkäufen veräussern Investoren, wie etwa Hedgefonds, geliehene Aktien in der Hoffnung auf sinkende Kurse.
Denn dann können sie die Papiere billiger zurückkaufen und an den Verleiher zurückgeben. Sind diese Geschäfte «ungedeckt», hat der Investoren die Aktien, die er verkauft, noch nicht einmal geliehen, womit Volumen und Risiko weiter steigen. Kritiker monieren, dass so die Preisschwankungen an den Finanzmärkten zunehmen und ein Kursrutsch beschleunigt werden kann. Ungedeckte Leerverkäufe sind in der Schweiz verboten, herkömmliche Leerverkäufe sind aber erlaubt.
Nach Darstellung der EuGH-Richter darf die ESMA Massnahmen erlassen, wenn eine Bedrohung für die Märkte oder die Stabilität des Finanzsystems der EU besteht. Voraussetzung sei, dass keine nationale Behörde entsprechende Schritte getätigt habe oder dass diese Massnahmen nicht ausreichten.
Zudem seien die Befugnisse dazu gedacht, bessere Voraussetzungen zum Funktionieren des Binnenmarkts im Finanzbereich zu schaffen. Der angewandte Artikel 114 des EU-Rechts, der die Angleichung nationaler Gesetze ermöglicht, sei dafür die geeignete Rechtsgrundlage.
Diese Begründung könnte auch der Diskussion über den geplanten EU-weiten Mechanismus zur Bankenabwicklung neue Nahrung verleihen. Das Bundesfinanzministerium argumentiert, dass Artikel 114 beim Aufbau eines Abwicklungsfonds ungeeignet sei.
Widerstand im EU-Parlament
Sie hatte deshalb eine zwischenstaatliche Vereinbarung ins Spiel gebracht, die von den EU-Finanzministern im Dezember gebilligt worden war. Im EU-Parlament, das der Vereinbarung in den kommenden Monaten zustimmen soll, regt sich dagegen aber heftiger Widerstand. Artikel 114 des EU-Rechts setzt keine Einstimmigkeit im EU-Rat voraus. Die geplanten Regeln für Bankenabwicklungen sind neben der einheitlichen Aufsicht die zweite wichtige Säule der Bankenunion, die die Lasten der Steuerzahler bei künftigen Finanzkrisen reduzieren soll.
Grossbritannien hatte geklagt, weil es Artikel 114 als unzureichend für ein EU-weites Verbot von Leerverkäufen ansah. In einer ersten Stellungnahme äusserte sich das britische Finanzministerium enttäuscht. Lob für die Richter kam dagegen vom CSU-Europa-Abgeordneten Markus Ferber: «Auch die Briten müssen akzeptieren, dass es keine einseitigen vermeintlichen Wettbewerbsvorteile für nationale Finanzplätze mehr geben kann.»
Die Regierung unter Premierminister David Cameron verwahrt sich gegen Einmischungen durch EU-Behörden in nationale Belange und fürchtet Nachteile für den Finanzplatz London – den wichtigsten in Europa. Cameron wirft der EU Reformunwilligkeit vor. Grossbritannien ficht vor Gericht drei weitere EU-Massnahmen im Finanzsektor an, darunter die Deckelung von Banker-Boni.
Das aktuelle Urteil des EuGH war so nicht erwartet worden, nachdem der Generalanwalt vor dem Gericht im September seine Bedenken gegen das geltende Verbot vorgebracht hatte. In den meisten Fällen folgt das Gericht der Einschätzung des Generalanwalts.