Die Evakuierungsmission in den Rebellengebieten von Ost-Aleppo könnte nach Ansicht von Helfern noch Tage dauern. Bis zum späten Donnerstagabend sind laut IKRK etwa 3000 Zivilisten und einige Verletzte aus der Stadt herausgebracht worden.
Trotz Dunkelheit sei die Mission zunächst weitergelaufen, die Busse seien erneut in die Rebellengebiete aufgebrochen, sagte die Leiterin der Mission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Marianne Gasser. Bevor die ersten Menschen herausgebracht werden konnten, habe es Schüsse gegeben.
Dem russischen Verteidigungsministerium zufolge verliessen mehr als 6000 Menschen Ost-Aleppo. Darunter seien auch 3000 Aufständische, berichtet die Agentur RIA. Der Abzug der Rebellen halte an.
Rückzug nach Idlib
Nach Angaben des UNO-Sondergesandten Staffan de Mistura sitzen noch rund 50’000 Menschen in Ost-Aleppo fest. Darunter seien etwa 40’000 Zivilisten, die in den Westteil der syrischen Stadt gebracht werden sollten. Bei den übrigen handle es sich um 1500 bis 5000 Aufständische mit ihren Familien. Sie würden sich in die Rebellenhochburg Idlib zurückziehen.
Ohne eine politische Einigung auf eine Waffenruhe, drohe Idlib allerdings dasselbe Schicksal wie Aleppo, sagte de Mistura in Paris bei einer Pressekonferenz.
Syrische Fahne gehisst
Die syrische Armee rückte unterdessen in einige frühere Rebellengebiete in Ost-Aleppo ein und hisste ihre Fahnen auf den Gebäuden. Syriens Präsident Baschar al-Assad hatte Aleppo zuvor für «befreit» erklärt.
Aleppo gehörte zu den am schwersten umkämpften Orten im syrischen Bürgerkrieg. Fast seit Beginn der Kämpfe vor mehr als vier Jahren war die Stadt zwischen der syrischen Armee und bewaffneten Aufständischen geteilt. Vor einem Monat hatte die Armee zusammen mit Verbündeten eine Grossoffensive auf die Rebellengebiete gestartet und fast alle Viertel im Osten Aleppos zurückerobert. Die Rebellen einigten sich mit der Führung in Damaskus auf einen Abzug.
«Es wird noch schlimmer werden»
Trotz der Erfolge der Regierungstruppen in Aleppo bleibt die Lage im Bürgerkriegsland angespannt. «Es wird 2017 und 2018 noch schlimmer werden», sagte Dominik Stillhart, Direktor der Operationen beim IKRK, in einem Interview mit dem «Blick». 60 Helfer seiner Organisation sind in West-Aleppo stationiert. Sie betreuen Flüchtlinge aus dem Ostteil der Stadt.
«Unsere Leute sind wirklich am vordersten Checkpoint der Regierungstruppen präsent.» Das IKRK rede in Aleppo mit allen Konfliktparteien. Seit Jahren versuche man zudem, Gespräche mit Angehörigen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aufzunehmen, bislang habe man das aber nicht geschafft.
Der mittlere Osten durchlebe die grösste Krise seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches. «Was uns Sorgen macht, dass wir in Syrien, im Irak oder Jemen immer öfter mittelalterliche Belagerungskriege sehen, in denen die Zivilbevölkerung zwischen die Fronten gerät», sagte Stillhart mit Blick auch auf den Vormarsch der irakischen Truppen auf die Millionenstadt Mossul.
Dauerhafte Waffenruhe
Für Aleppo forderte auch US-Aussenminister John Kerry eine dauerhafte Waffenruhe im syrischen Aleppo und sofortigen Zugang für Hilfskräfte. Er teile den Ärger, den die meisten Menschen angesichts der Attacken auf Frauen, Kinder und Hilfskräfte empfänden, sagte Kerry in Washington. Es gebe keinerlei Rechtfertigung für die Brutalität, die das syrische Regime, die Russen und die Iraner über die vergangenen fünf Jahre an den Tag gelegt hätten, sagte Kerry.
Die fliehenden Menschen dürften keinesfalls attackiert werden, sagte der US-Aussenminister. Ein zweites Srebrenica – die Tötung einer grossen Zahl von Zivilisten in einem kleinen Gebiet im Konflikt Ex-Jugoslawiens – müsse unter allen Umständen vermieden werden.
Frankreich warb für die Entsendung von UNO-Beobachtern nach Aleppo. Die Vereinten Nationen hatten pro-syrischen Truppen vor einigen Tagen vorgeworfen, bei der Offensive auf die Rebellengebiete Häuser gestürmt und zahlreiche Zivilisten getötet zu haben. Das russische Verteidigungsministerium warf den Rebellen im Gegenzug vor, in den Gefängnissen seien Zivilisten gefoltert worden.
Mit dem Abzug der Rebellen aus Ost-Aleppo kontrolliert die syrische Armee wieder alle grossen Städte im Land.