Frankreich hat nach Ansicht des ehemals höchsten Euro-Währungshüters Jean-Claude Trichet seit der Einführung des Euro wichtige Reformen verpasst. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) fordert eine rasche Vereinfachung der Arbeitsmarktgesetze.
Präsident François Hollande müsse bis Ende Jahr „liefern“, sagte Trichet der „NZZ am Sonntag“. Trichet beobachtet derzeit, wie sich die Gespräche zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bis Ende Jahr entwickeln. Dies ist die Frist, die sich die seit Mai amtierende sozialistische Regierung zur Strukturreform selbst gegeben hat.
„Ich ermutige die Tarifpartner, die derzeit am Verhandeln sind, und die Regierung, so mutig wie möglich zu sein“, sagte Trichet, der die EZB von 2003 bis Ende vergangenen Jahres präsidiert hatte und selbst Franzose ist. Die Ursachen für die Schwäche Frankreichs sieht er in versäumten Chancen der vergangenen zehn Jahre.
Bei der Einführung des Euro habe das noch von den Folgen der Wiedervereinigung belastete Deutschland ein grösseres Problem bei der Wettbewerbsfähigkeit gehabt als Frankreich, sagte Trichet. Frankreich hingegen habe damals eine Bilanzüberschuss ausgewiesen.
Die Reformen unter dem damaligen deutschen Kanzler Gerhard Schröder hätten Deutschland dann in eine bessere Wettbewerbsposition gebracht. Wegen nur moderater Lohnerhöhungen in Deutschland seien die Lohnstückkosten gesunken, argumentierte Trichet. Nun gebe es keinen Grund für Hollande und die Tarifpartner, bei Entscheidungen zu zögern: „Noch einmal, ich ermutige sie sehr, zu liefern.“