Extremisten behindern Wahl zum Verfassungsrat in Libyen

Von der anfänglichen Begeisterung der Libyer für die Demokratie ist nicht mehr viel übrig. Bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung war der Andrang am Donnerstag gering. Die Wahl wurde von Störversuchen radikaler Islamisten überschattet.

Wähler schauen sich in Bengasi ein Wahlregister an (Bild: sda)

Von der anfänglichen Begeisterung der Libyer für die Demokratie ist nicht mehr viel übrig. Bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung war der Andrang am Donnerstag gering. Die Wahl wurde von Störversuchen radikaler Islamisten überschattet.

Die landesweit rund 1500 Wahllokale wurden jeweils von mindestens 25 Sicherheitskräften bewacht. In der östlichen Stadt Derna erschossen die Islamisten einen Mann, der sie daran hindern wollte, ein Wahllokal zu verwüsten. Das berichtete ein lokaler Wahlbeobachter der Nachrichtenwebsite «Al-Wasat».

Laut seinen Angaben vertrieben die Islamisten ausserdem vor einem anderen Wahllokal in der Stadt eine Gruppe von Wählern. Sie gaben Schüsse in die Luft ab und beschimpften die Wähler als «Ungläubige».

Der Vorsitzende des Kommunalrates von Derna, Awad Lairadsch, sagte, am Morgen seien fünf Wahllokale angegriffen worden. Die Explosionen hätten Sachschaden verursacht. Derna gilt als Hochburg radikaler Islamisten und Terroristen aus dem Umfeld des Terrornetzwerks Al-Kaida. Aus einem Wahllokal in der Küstenstadt Bengasi wurden Stimmzettel gestohlen.

Wenig Vertrauen in Wahlen

Auch in der Hauptstadt Tripolis bildeten sich – anders als bei der Parlamentswahl vom Juli 2012 – keine langen Warteschlangen vor den Wahllokalen. Für die Wahl hatte sich ohnehin nur etwa ein Drittel der landesweit 3,4 Millionen Wahlberechtigten registrieren lassen.

«Die Bürger habe irgendwie das Vertrauen in den Wahlprozess verloren. Das liegt an den schlechten Erfahrungen, die wir mit dem Parlament gemacht haben», sagte Ahmed al-Hawat, der seine Stimme im Stadtviertel Al-Andalus in Tripolis abgab. Nichtwähler erklärten, das Parlament habe die Sicherheitsprobleme nicht gelöst und «nichts für die einfachen Bürger getan».

Viele Libyer klagen über das selbstherrliche Gebaren der Ex-Revolutionäre, die sich nach dem Sieg über die Truppen von Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi 2011 geweigert hatten, ihre Waffen abzugeben.

Seither haben sich allerdings einige Einheiten in zahlreiche Gruppen gespalten, andere sind der Armee unterstellt und wieder andere haben offiziell Polizeifunktionen – es mangelt in Libyen an qualifiziertem Personal, das nicht für Gaddafi gearbeitet hat.

Erst zwei Tage vor der Wahl hatten zwei Brigaden aus der Stadt Al-Sintan gedroht, das Parlament mit Gewalt aufzulösen. In Bengasi werden fast täglich Attentate auf Beamte und Soldaten verübt.

Historische Regionen in Rat vertreten

Um die 60 Sitze in der Versammlung, die bis Mai eine Verfassung formulieren soll, bewerben sich 649 Kandidaten. Die drei historischen Regionen – Tripolitanien, Cyrenaica und Fezzan – sind mit jeweils 20 Mitgliedern in dem Gremium vertreten. 15 Sitze sind für Frauen reserviert.

Die Berber und Angehörige der Minderheit der Tebu boykottierten den Urnengang. In einigen südlichen Städten verhinderten sie die Verteilung der Stimmzettel an die Wahllokale. Die Wahlkommission erklärte, es werde keine zweite Chance für die Boykotteure geben. «Wer heute nicht gewählt hat, der hat seine Entscheidung schon getroffen», sagte ein Mitglied der Wahlkommission.

Unter Gaddafi hatte es in Libyen keine Verfassung gegeben. Über den Verfassungsentwurf sollen die Bürger per Referendum entscheiden. Was aus dem Parlament wird, ist noch ungewiss. Um einen Termin für Neuwahlen wird derzeit gerungen. Islamistische Abgeordneten haben gefordert, das Parlament solle den Präsidenten wählen. Der liberale Block ist für eine Direktwahl.

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