Die Europäische Zentralbank (EZB) hat das grösste währungspolitische Experiment seit Bestehen des Euro gestartet: Seit Montag kauft sie Staatsanleihen in gewaltigem Umfang. Pro Monat will die Notenbank 60 Mrd. Euro frisches Geld in die Märkte pumpen – und das mindestens bis September 2016.
Das Billionen-Programm soll die Wirtschaft im Euroraum ankurbeln und die zuletzt in den Augen der EZB gefährlich tiefe Inflation anheizen. Schon seine Ankündigung im Januar hatte die Aktienkurse in neue Höhen und den Eurokurs auf Talfahrt geschickt.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) gab vor diesem Hintergrund den Euro-Mindestkurs auf. Um dem Euro zu stützen, hätte die SNB nach eigenen Angaben mit Hunderten von Milliarden Franken intervenieren müssen. Das hätte wiederum bedeutet, dass sie die Kontrolle über ihre Bilanz und die monetären Bedingungen verloren hätte.
Die neue Geldschwemme zeigte am Montag bereits Wirkungen an den Staatsanleihemärkten: Die Kurse legten auf breiter Basis zu. Im Gegenzug fielen die bereits niedrigen Renditen weiter, weil Anleger beim Erwerb der Papiere mehr zahlen müssen. Am Markt hiess es, die Notenbanken hätten begonnen, massenhaft Anleihen ihrer jeweiligen Staaten zu kaufen.
Die EZB erwirbt über die Notenbanken Papiere mit Laufzeiten von 2 bis 30 Jahren, deren Rendite nicht niedriger als der Einlagenzinssatz ist. Dieser liegt aktuell bei minus 0,2 Prozent. Zugelassen sind Staatsanleihen mit einer Bonitätsnote von mindestens «BBB-».
Papiere mit Ramsch-Rating werden nicht gekauft, ausser das betreffende Land ist im EU-Sanierungsprogramm und erfüllt die Sparauflagen. Anleihen von Griechenland und Zypern müssen deshalb draussen bleiben. Die nationalen Notenbanken kaufen ausschliesslich Anleihen ihrer Länder.
Notenpresse angeworfen
Die EZB in Frankfurt teilte lediglich mit, dass die Käufe begonnen haben, äusserte sich zunächst aber nicht zu Details. Ab kommender Woche will die Notenbank wöchentlich über den Umfang der Staatsanleihenkäufe informieren. Einmal monatlich sollen diese nach Ländern aufgeschlüsselt werden.
Für ihr neues Anti-Krisen-Paket druckt die EZB frisches Geld und kauft damit Wertpapiere. Fachleute nennen dies quantitative Lockerung oder schlicht «QE» («Quantitative Easing»).
Das Kalkül von EZB-Präsident Mario Draghi dahinter: Wenn die EZB und nationale Notenbanken massenhaft Staatsanleihen kaufen, steigen die Anleihenkurse und die Renditen sinken entsprechend. Banken werden aus diesen Anlageinstrumenten herausgedrängt, weil sie weniger Zinserträge abwerfen.
Draghi glaubt fest an den Erfolg. Das zeigen die neuen Wachstumsprognosen der EZB. Sie gehen für 2016 in der Eurozone von 1,5 Prozent Inflation und einem Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent aus. Hat sich das Programm 2017 voraussichtlich voll entfaltet, soll das Wachstum auf 2,1 Prozent steigen und die Inflationsrate auf 1,8 Prozent.
Gespenst der Deflation beschworen
Das frische Geld kommt damit im Idealfall über die Geschäftsbanken in Form von Krediten bei Unternehmen und Konsumenten an. Das könnte Konsum und Investitionen anschieben und so die flaue Konjunktur in Schwung bringen.
Die Geldflut schwächt auch den Euro, was die Exporte des Euroraums auf dem Weltmarkt verbilligt und damit die Konjunktur weiter stimuliert. Die Exporte der Schweiz in den Euroraum hingegen verteuerten sich bereits nach dem Ende des Euro-Mindestkurses. Und Ferien hierzulande kommen mit Euro im Sack nochmals teurer.
Die Zentralbanker wollen auch den Absturz in eine Deflation verhindern: Sinken die Konsumentenpreise über einen längeren Zeitraum auf breiter Front, könnte das die Konjunktur ausbremsen. Im Januar und Februar 2015 sanken die Konsumentenpreise.
Mit dieser Angst sind die Notenbanker allerdings ziemlich allein. Die meisten Ökonomen sehen keine Deflationsgefahr: Die sinkende Inflationsrate sei vor allem eine Folge des drastischen Ölpreiszerfalls – und der ist eigentlich hochwillkommen und wirkt seinerseits wie ein Konjunkturprogramm.
Börsenblasen befürchtet
Kritiker sind skeptisch, dass die EZB-Anleihenkäufe wie geplant wirken werden. Bisher blieben Geldmarktmassnahmen der Zentralbank eher an den Aktienmärkten hängen als in der Realwirtschaft. Die Kritiker befürchten darum neue Preisblasen durch das viele billige Geld.
Ob die EZB überhaupt an Staatsanleihen im angepeilten Umfang kommt, bezweifeln Experten ebenfalls. Diese Papiere nämlich gelten als risikolos und sind damit für Geschäftsbanken auch aus regulatorischen Gründen attraktiv. Gemäss Kapitalvorschriften müssen sie im Gegensatz zu anderen Anlagen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden.
Mehrere Banken erklärten darum bereits in den vergangenen Wochen, sie würde ihre Bestände nicht verkaufen. Auch die Marktkräfte könnten der EZB einen Strich durch die Rechnung machen. Den Notenbanken von Randländern dürfte der Aufkauf der Anleihen leichter fallen, weil deren Bonds nicht so begehrt sind, wie etwa die deutschen Bundesanleihen.
Auf politischer Ebene könnten die Regierungen in Schuldenstaaten in ihrem Reformeifer nachlassen, wenn die Notenbank in grossem Umfang staatliche Schulden finanziert