Fabian Cancellara und Co. nicht unter den Favoriten

Die olympischen Radrennen 2016 sind eine Angelegenheit für starke Bergfahrer. Die Schweizer Mannschaft gehört deshalb nicht zum engsten Kreis der Medaillenanwärter.

Die olympischen Radrennen 2016 sind eine Angelegenheit für starke Bergfahrer. Die Schweizer Mannschaft gehört deshalb nicht zum engsten Kreis der Medaillenanwärter.

2008 und 2012 gehörten die Vertreter von Swiss Olympic, allen voran Fabian Cancellara, zu den prägenden Figuren der Olympia-Rennen. Vor acht Jahren in Peking gewann Cancellara Silber im Strassenrennen, nachdem der zuerst zweitklassierte Italiener Davide Rebellin später wegen Dopings disqualifiziert worden war, und Gold im Zeitfahren.

Vier Jahre danach in London gehörte Cancellara in beiden Rennen zu den Topfavoriten. Im Strassenrennen rund um den Buckingham-Palast dominierte das Schweizer Quintett, die Medaille für Cancellara lag bereit – bis sich der Berner durch eine Unaufmerksamkeit, die einen Sturz zur Folge hatte, selbst aus dem Rennen nahm. Angeschlagen und geschwächt reichte es ihm danach im Zeitfahren nur zu Platz 7.

Schwierige Steigungen

Bei seinen letzten Olympischen Spielen, dem vermutlich letzten Highlight seiner Karriere, zählt Cancellara einzig für das Zeitfahren zum erweiterten Kreis der Anwärter auf eine Medaille. Im Strassenrennen sind die Steigungen des Rundkurses zu schwierig für den 35-jährigen Berner, der seine Karriere Ende Saison beendet. Zusammen mit seinen Teamkollegen Michael Albasini, Steve Morabito und Sébastien Reichenbach nimmt Cancellara deshalb in Rio eine klassische Aussenseiter-Rolle ein.

Ganz abschreiben darf man das Schweizer Team aber nicht. Mit Cancellara und Michael Albasini als Spezialisten für Eintagesrennen sowie den beiden Walliser Kletter-Spezialisten Steve Morabito und Sébastien Reichenbach wissen die Schweizer für viele Rennsituationen einen Trumpf in ihren Reihen. Nach der starken Tour de France (14. Gesamtrang) wird am ehesten Reichenbach ein Top-Resultat zugetraut. Sein Nachteil dürfte indes die finale Abfahrt sein; Reichenbach ist alles andere als ein guter Abfahrer.

Froome-Festspiele?

Weil im Gegensatz zu WM-Rennen, zu denen die stärksten Nationen jeweils mit neun Fahrern antreten dürfen, maximal fünf Profis pro Land startberechtigt sind, ist eine Kontrolle des Strassenrennens schwierig. Weil der Wettkampf dadurch unberechenbar werden kann, ist der Kreis der Medaillenkandidaten gross.

Trotzdem gibt es Favoriten, zum grossen Teil jene Fahrer, die bereits in den Pyrenäen- und Alpenetappen der Tour de France geglänzt haben. Kann er seine Form aus der Frankreich-Rundfahrt konservieren, dann gilt Chris Froome für beide Wettkämpfe als Goldkandidat. Ganz auf Olympia konzentrierte sich der Italiener Vincenzo Nibali. Der Tour-de-France-Sieger von 2014 fuhr die diesjährige Frankreich-Rundfahrt «nur» als Vorbereitung auf Rio.

Auch im Zeitfahren bergauf

Im Zeitfahren vor vier Jahren in London musste sich Froome hinter seinem Landsmann Bradley Wiggins und dem Deutschen Tony Martin mit Bronze begnügen. Nach seiner Vorstellung im Bergzeitfahren der Tour de France gilt der Brite nun im Kampf gegen die Uhr als praktisch gesetzt für den Gewinn der Goldmedaille – zumal sein mutmasslich härtester Widersacher, der Niederländer Tom Dumoulin, nach einem an der Tour erlittenen Handbruch keine optimale Vorbereitung haben wird.

Wer von den Zeitfahr-Spezialisten nebst Froome eine Medaille gewinnen will, muss sich auf die beiden längeren Steigungen einstellen können. Der vierfache Weltmeister Cancellara ist dabei mit seiner Grösse (1,86 m) und seinem Gewicht (über 80 kg) von Natur aus benachteiligt. Der Berner hat im Lauf seiner Karriere indes schon mehr als oft bewiesen, dass er sich auf ein einzelnes Rennen hervorragend vorbereiten kann.

Das Experiment von Jolanda Neff

Bei den Frauen qualifizierte sich mit Jolanda Neff nur eine Schweizerin für das Strassenrennen. Für die Ostschweizerin, deren Konzentration eigentlich dem Mountainbike-Wettkampf gilt, ist der Abstecher auf die Strasse ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Im Optimalfall liegt für Neff, die mit der bergigen Strecke gut zurecht kommen wird, gar eine Medaille drin.

Denn gute Resultate auf der Strasse kann Neff durchaus vorweisen. In der Hauptprobe, der allerdings schwach besetzten Polen-Rundfahrt von Mitte Juli, feierte sie ihren ersten Sieg in einem internationalen Rennen. Beim World-Tour-Rennen Trofeo Alfredo Binda in Italien fuhr die 23-jährige Olympia-Debütantin an der letzten Steigung allen Favoritinnen davon, ehe sie im Finish noch gestellt und schliesslich Dritte wurde. An der WM 2015 klassierte sie sich im 9. Rang.

Als Favoritinnen auf die Goldmedaille im Strassenrennen gelten die Britin Elizabeth Armitstead (Weltmeisterin 2015) und die Niederländerin Marianne Vos (Olympiasiegerin 2012), aber auch die Amerikanerinnen Megan Guarnier und Evelyn Stevens (1. und 2. am Giro d’Italia). Stevens gilt zudem als Gold-Anwärterin im Zeitfahren, zu dem auch ihre bald 43-jährige Landsfrau und zuletzt zweifache Olympiasiegerin Kristin Armstrong wieder antritt.

Nächster Artikel