Facebook-Facetten: Eine Analyse

Buchreview zu „Generation Facebook. Über das Leben im Social Net“ von Oliver Leistert und Theo Röhle (2011) // Christoph Krummenacher Facebook prägt unser Leben, es ist zum Leitmedium unserer Generation geworden. Wie es uns prägt und nach welchen Logiken es funktioniert wird im Buch Generation Facebook. Über das Leben im Social Net von Oliver Leistert und […]

Buchreview zu „Generation Facebook. Über das Leben im Social Net“ von Oliver Leistert und Theo Röhle (2011) // Christoph Krummenacher

Facebook prägt unser Leben, es ist zum Leitmedium unserer Generation geworden. Wie es uns prägt und nach welchen Logiken es funktioniert wird im Buch Generation Facebook. Über das Leben im Social Net von Oliver Leistert und Theo Röhle behandelt. Ist Facebook eine Gefahr für das anonyme Individuum, eine Chance für die berufliche Karriere, eine Goldgrube für Werbung und Marketing oder einfach nur eine triviale Modeerscheinung? Christoph Krummenacher hat für unseren Blog das Buch gelesen.

Wovon handelt das Buch? Die gesellschaftliche, ökonomische und politische Relevanz und Konsequenzen von Facebook

Das heisst, dass… Social Network Sites im heutigen Alltag eine immer wichtigere Rolle spielen – sowohl im sozialen, beruflichen wie im politischen Bereich. Facebook hat sich unter den vielen Anbietern zur unumstrittenen Nummer eins dieser Onlinedienste entwickelt und prägt damit mehr und mehr die Gesellschaft, die Facebook nutzt. Dieses Buch untersucht diese Auswirkungen sowie die Möglichkeiten und Gefahren, die sich aus der Entwicklung ergeben.

Und das bedeutet? In 16 Beiträgen von den verschiedensten Autoren wird das Phänomen Facebook untersucht und umrissen. Die einzelnen Beiträge sezieren dabei sorgfältig einzelne Facetten und legen Argumente dar, wie FB funktioniert und welche Folgen es hat. Die Beitragsarten reichen von sozialtheoretischen Aufsätzen (Geert Lovink), Analysen der Selbstdarstellung (Carolin Wiedemann) und politischen Analysen (Langlois, Elmer, McKelvey) über Untersuchung der Karrierewerkzeuge (Mark Andrejevic) bis zu kurzen Kommentaren aus Praxis und Alltag (Anne Roth, Frank). Zum Teil visualisieren Grafiken die Zahlen und bekannte Fotos gelangen in die Diskussion. Die jungen wie ältere, auf der ganzen Welt forschende Autoren beleuchten und den Untersuchungsgegenstand indes von verschiedensten Seiten sezieren: Medien- und Kommunikationswissenschaft, Soziologie, Kunst- und Kulturwissenschaft, Philosophie, Politik und politische Ökonomie, Informatik.
Der Wert des Buches ergibt sich aus der Summe der einzelnen Teile – eine Parallele zu FB.

Was ist weiter hervorzuheben? Sicherlich die neue Art von Sozialität, die sich durch FB ergibt. Mark Andrejevic (Autor von diversen Artikeln über neue Medien, populäre Kultur und Überwachung) beschreibt diesbezüglich die Chancen der Nutzung von FB als Personalvermittlungsplattform, wobei er gleichzeitig kritisiert, dass dies umgekehrt auch ein Eindringen des Arbeitsplatzes in das Sozialleben bedeute, ebenso wie eine Kommerzialisierung des Sozial-lebens, sobald Freundschaften als potenzielle Kundenbeziehungen in den Blick von Marketing und Werbung geraten.

Lieblingspassage? Spannend wird das Buch an den Stellen, wo Intertextualität entsteht, so etwa im Aufsatz der amerikanischen Soziologin Saskia Sassen. Sie erklärt, dass verschiedene Ökologien verschiedene „Logiken“ besitzen: Eine Gruppe, die Geld sammeln will für ihre Idee, folgt einer anderen Logik als eine politische Protestbewegung, welche Menschen motivieren will etwas zu tun – obwohl beide die Facebook-Gruppen-Funktion als technisches Mittel nutzen. Der deutsche Kulturtheoretiker Dirk Baecker dagegen sieht in Facebook die Theorie von Gary S. Becker bestätigt, welche besagt, dass die Menschen alle dieselben Präferenzen und Ziele haben und sie sich lediglich durch die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel unterscheiden (woraus er schliesst, dass es zwischen FB-Usern nur Unterschiede in den Details gibt, während sie aber alle auf dasselbe aus sind).

Gibt es Probleme mit dem Buch? Das Problem des Buches liegt in seiner Stärke: Die einzelnen Beiträge lassen sich schlussendlich nur bedingt zu einem schlüssigen ganzen Bild von FB zusammenfügen. Zu verschieden und zu spezifisch liegen die Facetten gleichsam als Splitter in der Social-Media-Landschaft. Und die Beiträge sind nur Streiflichter auf einige Aspekte. Gleichwohl lässt sich die enorme Reichweite von FB erahnen, welche in Zukunft noch intensiver untersucht (auch mit Daten und Statistiken) werden muss.

Warum sollen wir dieses Buch lesen? Facebook hat über 3 Millionen Nutzer in der Schweiz, davon ist die Hälfte unter 30 Jahre alt: Facebook betrifft viele Leute, je länger je mehr. Genau deswegen ist es wichtig, die verschiedenen Funktionen und Möglichkeiten, aber auch die Schattenseiten dieses Tools zu kennen. Genau das leistet dieses Buch: Es bietet eine Tour durch den virtuellen Raum der Idee Facebook, auf welcher Türen geöffnet werden, um so der ganzen Dimension auf die Schliche zu kommen und einen Blick zu entwickeln, welche Bereiche des sozialen, politischen und ökonomischen Lebens Facebook beeinflusst. Insofern schafft es das Buch, dem Leser seinen Horizont so zu erweitern, dass er danach Facebook sensibler nutzt und wahrnimmt, als zuvor.

Zusammenfassend… bleibt der Grundton der diversen Texte. Man ahnt es: kritisch und warnend. Immer wieder werden Passagen aus den AGBs von FB zitiert oder auf die mangelhafte Sicherheit hingewiesen. Der fahle Nachgeschmack, den das Buch hinterlässt, liesse sich vielleicht am besten mit den Worten des Software-Entwicklers Frank (er wertet zugängliche FB-Daten aus, um seinen Kunden die Wirkung ihrer FB-PR-Arbeit zu zeigen) auf S. 77 im Buch ausdrücken: „Ich glaube, eigentlich ist FB nur eine Plattform, um auf sehr effektive Weise Lebens- und Konsumdaten von möglichst vielen Menschen zu sammeln, wobei die Art der Verwertung offen ist. Das „Soziale“ in „Social Media“ ist nur Mittel zu dem Zweck, dass die User ihre Daten freiwillig zur Verfügung stellen. Der hohe Börsenwert von FB ist wahrscheinlich weniger durch die eigentlichen jährlichen Gewinne begründet als durch die Erwartung, dass sich eine gigantische Datensammlung über mittlerweile ein Zehntel der Menschheit in Zukunft schon irgendwie lohnen werde.“

Zum weiterlesen empfehlen wir zu Facebook-Nutzerzahlen in der Schweiz den folgende ARD-Doku: „Facebook – Milliardengeschäft Freundschaft“

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