Fast alle Opfer des verheerenden Grubenunglücks in der Türkei sind nach Angaben der Regierung inzwischen gefunden worden. Energieminister Taner Yildiz sprach am Freitag – drei Tage nach der Katastrophe – von noch 18 vermissten Männern.
Das gehe aus Aufzeichnungen des Minenbetreibers und der Familien hervor. Rund 500 Rettungskräfte waren am Freitag in Soma weiter im Einsatz, um die letzten verschütteten Bergleute aus der Kohlegrube zu bergen. Für diese gab es praktisch keine Überlebenschancen mehr. Die Zahl der gefundenen Toten stieg auf 284.
Ein Grossaufgebot von Staatsanwälten soll nun nach Schuldigen suchen. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte habe als oberstes Aufsichtsgremium 28 Ankläger auf den Fall angesetzt, berichteten türkische Fernsehsender am Freitag. Die türkische Regierungspartei AKP wolle das Unglück vom Parlament untersuchen lassen, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan war weiter mit Kritik an seinem Umgang mit der Situation konfrontiert. In Soma forderten am Freitag rund 10’000 Menschen seinen Rücktritt. Sicherheitskräfte gingen mit Wasserwerfern und Tränengas gegen sie vor, um die Demonstrationen zu beenden.
«Unverschämter» Erdogan
Erdogan wurde vorgeworfen, er habe einen jungen Mann in Soma geohrfeigt. Ein Sprecher von Erdogans Regierungspartei AKP betonte, es gebe keine Beweise für die angebliche Tätlichkeit.
Ein im Internet verbreitetes Video zeigt lediglich, wie Erdogan mit ausgestreckten Armen auf einen Mann vor einem Supermarkt in Soma losgeht und ihn beschimpft, der mutmassliche Schlag selbst ist nicht zu sehen.
Der Regierungschef hatte Soma am Mittwoch besucht und viele Bewohnerinnen und Bewohner gegen sich aufgebracht, indem er über die angebliche Unvermeidlichkeit von Bergwerksunfällen sprach: «So etwas passiert eben», sagte er. Daraufhin wurde Erdogans Wagenkolonne von wütenden Demonstranten attackiert, die den Rücktritt des Ministerpräsidenten forderten.
Oppositionspolitiker kritisierten Erdogan. «Das ist unser Ministerpräsident, den wir sehr gut kennen. Alle über Manieren belehren, aber sich selbst unverschämt verhalten», sagte der CHP-Politiker Gürsel Tekin.
Explosion von Kohlestaub
Die Katastrophe in Soma ist das schwerste Bergwerksunglück in der Geschichte der Türkei. Nach Angaben der Betreibergesellschaft Soma Holding wurden 450 Kumpel lebend gerettet. Zusammen mit den Toten und den 18 Vermissten hätten sich demnach maximal 752 Arbeiter in dem Bergwerk aufgehalten. Zunächst hatte der Energieminister von 787 Bergleuten gesprochen.
Der Betreiber des Bergwerks in Soma verteidigte sich erneut gegen Vorwürfe, in der Grube seien Sicherheitsstandards missachtet worden. «Es gibt keinerlei Versäumnis auf unserer Seite», sagte Generaldirektor Akin Celik. Das Unglück sei durch die Explosion von Kohlestaub verursacht worden – nicht durch einen explodierenden Trafo wie zunächst angegeben.
Soma-Firmenchef Alp Gürkan sprach von einer «unglaublichen Tragödie». Kritiker werfen ihm vor, die Rentabilität der Kohlegrube auf Kosten der Arbeitssicherheit gesteigert zu haben. 2012 hatte Gürkan sich damit gebrüstet, die Produktionskosten seit deren Privatisierung von 130 Dollar auf 24 Dollar pro Tonne gesenkt zu haben.
Die türkische Regierung wird kritisiert, weil sie schärfere Sicherheitskontrollen verhindert haben soll.