Johan Cruyff hat weltweit preisgekrönte Trainer und renommierte Spieler geprägt und inspiriert – unter ihnen Lucien Favre: «Er machte alle besser», schwärmt der Schweizer Erfolgscoach.
Auf dem Höhepunkt seiner mehrjährigen Ära bei Mönchengladbach hatten englische Journalisten den Namen Borussia Barcelona entworfen. Ein schöneres Kompliment gab es nicht für den Fussball-Ästheten Lucien Favre. Der niederländische Ballkünstler erfuhr bei einem Besuch in Lausanne vom Kunstwerk des glühenden Cruyff-Verehrers und liess ihm ein signiertes Trikot zukommen. Für die Nachrichtenagentur sda analysiert Favre den verstorbenen Fussball-König.
Der erste Kontakt reicht über zwei Jahrzehnte zurück. Im Winter 1993 war er ihm ganz nah, dem Maestro, dem Trainer mit den genialen Ideen und virtuosen Plänen, wie sie damals kein anderer produzierte. «Zwei Wochen lang war für mich alles offen und zugänglich», erinnert sich Favre an die womöglich inspirierendsten und prägendsten zwei Wochen seiner eigenen Trainerlaufbahn.
Die neue Zeitrechnung
Den zehn Jahre älteren Magier aus Amsterdam verfolgte Favre (58) zeitlebens: «Johan war schon auf dem Rasen bei Ajax fantastisch. Er revolutionierte das Spiel – Fussball total. Alle beteiligten sich am Aufbau, die Verteidiger gingen mit, links und rechts.» Er sei keinem Konflikt ausgewichen, «er war eine grandiose Persönlichkeit».
Am Tag der traurigen Nachricht schaute sich Favre ein paar Aufnahmen aus dem Video-Archiv an: «Seine Beinarbeit, unglaublich. Er war schnell, sehr schnell und beidfüssig wie kein zweiter in seiner Epoche.» Er habe das Spiel entschlüsselt und sein Umfeld auf ein anderes Level gehoben – bei Ajax und später in Barcelona.
Cruyff habe in Spanien eine neue Zeitrechnung eingeführt: «Ich habe eine WM-Ausscheidungspartie der Spanier in Jugoslawien im Kopf. Das war damals in Belgrad kein Fussball, das war nur Kampf. Als Johan als Trainer zu Barça zurückgekehrt ist, hat er in Spanien einen Prozess der kompletten Veränderung ausgelöst.»
Der ehemalige Mönchengladbach-Trainer schweift gedanklich zurück zum zweiwöchigen Praktikum: «Mir kommt eine Lektion in den Sinn, in welcher Ronald Koeman und Pep Guardiola nach dem Aufwärmen Flachpässe übten. 30-Meter-Zuspiele, flach war obligatorisch, links, rechts, präzise, mit Tempo.»
Cruyff sagte zu mir: «Technik in Bewegung macht den Unterschied.» Und Favre, selber ein Meister der Details, ein Perfektionist, den sie in Deutschland mit Ikonen wie Hennes Weisweiler verglichen, hat spannende Nuancen entdeckt: «Cruyff hat während eines Spiels oft nur die Bewegung der Akteure ohne Ballbesitz beobachtet. Sein Fokus war selten auf den Ballführenden gerichtet.»