Lucien Favre hat mit Mönchengladbach eine Welle der Euphorie ausgelöst, die kaum mehr einzudämmen ist. Im Party-Park der Borussia sind sie entzückt. Nur der Schweizer Kult-Trainer bleibt skeptisch.
Die lauten Sky-Experten sind abgereist. Ein paar TV-Techniker bauen die Kulisse mit dem bekannten Logo ab. Einige Ehrengäste wanken zu ihren Autos. Die Protagonisten rauschen in Luxuskarossen der Abenddämmerung entgegen. Ein Herr verlässt den VIP-Trakt viel später und quält sich die steile Treppe zu den reservierten Parkplätzen hoch. Mit Rollkoffer und Eisbeutel – es ist Lucien Favre. «Mein Knie tut weh», sagt er und schüttelt den Kopf: «Sport im Hotel.»
Keiner sollte auf die Idee kommen, er habe etwa zu ausgelassen getanzt nach dem abermals grandiosen Auftritt seiner Equipe beim 3:0 gegen Bayer Leverkusen. «Es war ein schönes Spiel mit viel Tempo. Wir sind ruhig geblieben und haben keine Konter zugelassen.» So analysierte der Romand den wohl wertvollsten Sieg seiner über vierjährigen Ära am Niederrhein. Nüchtern, ohne den kapriziösen Pathos des spanischen Bayern-Gurus Guardiola, sachbezogen, fokussiert: «Wir müssen auch in Bremen punkten.»
Favre verweigert sich selbst am wichtigsten Trainer-Tag seiner Bundesliga-Karriere, an dem er Gladbach zu 99 Prozent und erstmals seit 1977 wieder in den Europacup der besten europäischen Teams geführt hat, dem Hype. «Ach Herr Favre, jetzt dürfen Sie doch mal jubeln. Nächstes Jahr greifen wir die Bayern an», posaunt ein Fan. Der Trainer lächelt die Euphorie weg und denkt mit einem leichten Schaudern an die anschwellende Erwartungshaltung: «Sie träumen.»
Dann klopft ihm Hans Meyer auf die Schultern: «Danke für dieses wunderbare Jahr, lieber Lucien. Das war ganz stark.» Meyer, einst ein Trainer mit höchstem Unterhaltungswert und inzwischen im Präsidium der Gladbacher, kennt das Geschäft. Und ihm ist auch die dunkle Seite der Borussia bekannt. Er führte sie nach der Jahrtausendwende aus der Versenkung zurück in die höchste Liga.
Die Flaggen des Vereins flattern im Wind, dunkle Wolken ziehen auf, Regen fällt. Die Szenerie passt so gar nicht zum sportlichen Hoch. «Es ist kalt, ich muss gehen. Es gibt noch viel zu tun.» Favre will noch Videos studieren. Der Trainer schwärmt nicht vom deutlichen Erfolg gegen Bayer, «ich sah, dass es eng war, dass Leverkusen uns Probleme bereitete. Wir hatten zu wenig Ballbesitz.»
Ausserhalb einer Kneipe in Hördistanz begiessen Fans nach dem neunten Heimsieg in Serie mit Bier den Champagner-Fussball Favres. Der Maestro hingegen hat nicht die statistisch beste Rückrunde seit 1974 im Kopf, der Gestalter des grossen Bilds denkt an die Kleinigkeiten: «In Bremen habe ich noch nie gewonnen.» Favre bleibt Favre. Seine leise, unaufgeregte Art ist so etwas wie der sympathische Gegenentwurf zur nervösen Sky-World.