120’000’000’000 Euro wandern in Europa in dunkle Kanäle? Auch in Bern ist man der Korruption im Beschaffungswesen auf der Spur: «American Hustle» bietet ein verspieltes Denkbeispiel. Höchstes Lob für die Höchststapler bei der Oscar-Nominierung.
Irving Rosenfeld kommentiert das Selbstportrait von Rembrandt ganz lakonisch: «Das ist Fake. Die Leute glauben, was sie glauben wollen. Derjenige, der diese Bild gemalt hat, war so gut, dass es für alle echt ist. Wer ist also der Meister? Der Maler. Oder sein Fälscher?» Dann kehrt er zurück zu einer seiner kleinen Betrügereien in seiner Rolle als Anlageberater oder seiner Rolle als Kunsthändler. Das ist nur eine der Anspielungen am Rande, die der Drehbuchautor Eric Warren Singer und Regisseur David O. Russell sich beim Erzählen ihrer Hochstapler-Geschichte gestatten.
Ebenso vielsagend legt Russell die wunderbare Nostalgie von Duke Ellingtons «Jeep’s Blues» über seine Geschichte, die er mit «American Hustle» erzählt. Ein Meisterstück der narrativen Dramaturgie wird von einem Meisterstück der Big-Band-Blues-Ballade (der gerade von der intellektuellen Oberschicht der Cool und Bebop-Jazzer abgelöst worden war) begleitet. Johnny Hodges spielt eines der schönsten Saxophonsoli der Jazzgeschichte.
Im Kern: Die Liebesgeschichte
Dabei erzählt die Geschichte von «American Hustle» doch eigentlich nur eine komplexe Liebesgeschichte – Hochstapler trifft Hochstaplerin. Doch, das hat das Hochstapeln so an sich: Es findet sich immer einer, der noch höher stapeln will. Bald ist der eifrige FBI-Beamte Richie DiMaso den beiden auf den Fersen.
Irving Rosenfeld ist verheiratet, mit Rosalyn, die man nicht als das grosse Los bezeichnen sollte: Verliebt ist er nicht. Aber glücklich. Bis er Sydney Prosser trifft. In sie ist er verliebt. Aber nicht glücklich. Als sich der FBI-Agent Richie DeMaso zu dem Trio gesellt, ist er weder verliebt noch glücklich. Aber beides gleichzeitig wäre ja wohl auch zuviel erwartet: Jetzt muss das Quartett nämlich seine Haut retten. Wer stapelt am höchsten?
Christian Bale (normalerweise rettet er die Welt als «Batman»), Bradley Cooper (the sexiest Man alive), Amy Adams (eben noch in the «Master» zu sehen) und Jennifer Lawrence (hinreissend in «Silver Linings Playbook») schenken sich nichts. Mal schmuddelig, mal charmant, mal giftig hintergeht sich dieses Trio, haut sich übers Ohr, und dies auch mal nicht nur metaphorisch. Amy Adams legt einen grandiosen erotischen Hauch über diese kleinen und grossen Betrugsgeschichten. Sie ist wie die anderen drei des Quartetts für einen Oscar nominiert.
(Bild: Entertainment Film Distribution)
Eine Erzählweise weit über Serienniveau
«American Hustle» besticht vor allem durch seine intelligente Geschichte. Clevere Dialoge für ein spielfreudiges Schauspielerquartett. Eine Dramaturgie, die uns nicht nur immer wieder Zeuge einer Übervorteilung sein lässt, sondern uns auch immer wieder von Neuem aufs Glatteis führt – dorthin, wo eine der kleinen Nebengeschichten sich abspielt: Der Abteilungsleiter vom FBI, Stoddard Thorsan, erzählt seinem übereifrigen Untergebenen eine Geschichte, zu dessen Belehrung: Eine Geschichte, wie er einst als Kind sich mit seinem Bruder auf den gefrorenen See hinaus begeben hat, verbotenerweise, um zu fischen, und was dann geschah, war…
Diese Geschichte, in Bruchstücken erzählt, ist eine der weiteren Überschriften, die der Film verdient. Er will uns etwas erzählen. Er weiss auch, dass er uns etwas zu erzählen hat. Aber wir sollen die Schlüsse daraus gefälligst selber ziehen. Das tun wir denn auch. Wir stellen zum Beispiel fest, dass für einmal in einer Geschichte über Schwarzgeld und illegale Konten die Schweiz nur am Rand erwähnt wird. Zürich findet nur Erwähnung, weil dort nämlich ein Nagellack erhältlich ist, der duftet. Exzellent duftet. Wie ein exzellentes Parfum. Doch das haben Parfums an sich, so wird auch gleich gesagt: Jeder süsse Duft ist auch immer von einem Hauch von Gestank begleitet…
«American Hustle» ist kein weichgespülter «Wolf of The Wall Street». Er ist eher ein verspieltes Schauspielerfest. Grosses Kino ist das nicht. Es ist aber das, was Kino im nächsten Jahr zunehmend vor sich hat: Intelligentes Serienformat auf Breitleinwand aufgeblasen. Da hilft also kein Naserümpfen.
Der intelligente Diskurs über Bestechung, Politikerfilz und Hochstapelei in der Wirtschaft hat eben begonnen. Zumindest ist in diesem Diskurs dieser Film den Wirtschaftskriminalisten weit voraus. Europäische Fahnder möchten seit gestern gerne die eigentliche Geschichte der 120’000’000’000 Euro aufdecken, die in der EU – gemäss Kommissionsbericht – jährlich wegen Korruption verschwinden. Selbst in Bern geben sich Kommissionen Mühe so auszusehen, als wolle man Korruption im Beschaffungswesen in den Griff bekommen. Der Film hat es da leichter. Er kann sich vor uns auf die Leinwand werfen lassen und uns sagen: «Fake. Das ist nur Fake!» Wir halten ihn für echt.