Diesen Sommer haben in Horgen (ZH) erstmals die gefährdeten Flussseeschwalben auf einem Flachdach gebrütet. Mit cleveren Tricks haben Ornithologen die Vögel angelockt, die erfolgreich fünf Küken grossziehen konnten.
Flussseeschwalben (Sterna hirundo) sind elegante, schwarzweisse Wasservögel, die natürlicherweise auf Kiesbänken in unverbauten Flüssen brüten. Ihr Bestand litt deshalb stark unter der Begradigung der meisten Schweizer Flüsse. Ab den 1940er Jahren verschwand die Flussseeschwalbe beinahe ganz als Brutvogel.
Seit Naturschützer den Vögeln künstliche, schwimmende oder auf Stelzen stehende Brutplattformen zum Beispiel in Naturschutzgebieten angelegt haben, hat sich die Art etwas erholt. Heute brüten etwa 400 Paare in der Schweiz.
Im Jahr 2013 schaute ein Ornithologe des Ökobüros Orniplan aus dem Zug auf das Dach des Bootshauses der Gemeinde Horgen (ZH) – und sah ein potenzielles Flussseeschwalben-Heim. Die Biologen setzten den Rahmen einer Brutplattform auf das Dach und füllten das Innere mit Kies. Sie nannten es das «Brutfenster». Über die Ergebnisse berichten sie nun in der Vogelschutz-Zeitschrift «Ornis».
Simulierte Kolonie
Im ersten Sommer brütete tatsächlich ein Vogel dort – eine gewöhnliche Bachstelze. Also griffen die Biologen zu einem Trick: Flussseeschwalben sind Koloniebrüter und siedeln sich gerne dort an, wo bereits Artgenossen brüten. Deshalb simulierten die Vogelschützer eine Kolonie, indem sie das Brutfenster mit naturgetreuen Seeschwalben-Attrappen bestückten.
Die Illusion perfektionierte eine Apparatur, die den ganzen Frühling über die Geräuschkulisse einer Kolonie abspielen sollte. Leider funktionierte sie erst gegen Ende der Saison, dann aber inspizierten gleich die ersten Flussseeschwalben das Brutfenster.
Fünf Junge ausgeflogen
Im Mai dieses Jahres war das Experiment von Erfolg gekrönt: Zwei Flussseeschwalben-Paare balzten am Brutfenster und zogen anschliessend je drei Junge gross. Sie liessen sich weder von der nahen, belebten Uferpromenade noch von den vorbeirauschenden Zügen oder der Hitze auf dem Dach stören.
Ein Junges verschwand, doch fünf wurden flügge und konnten den Zug nach Afrika antreten. «Der Vorteil der Flachdächer sind die vergleichsweise geringen Störungen», erklärte Projektleiter Mathias Ritschard von Orniplan der Nachrichtenagentur sda. Es gebe keine Bodenräuber, Hunde oder Spaziergänger.
Spontane Bruten auf Flachdächern der Seeschwalben sind laut Ritschard aus Holland, England oder Finnland bekannt – nicht aber aus Mitteleuropa. Vielleicht passen die Gebäude nicht ins Suchschema der Vögel. «Wie unser Versuch zeigt, können soziale Reize wie Vogelattrappen und künstliche Koloniegeräusche nachhelfen», erklärt er.
Während Flachdächer für Kiebitze eine tödliche Falle sein können, weil die Küken rasch das Nest verlassen und dann auf dem Flachdach keine Nahrung finden, sind sie für Seeschwalben ideal. Die Eltern tragen das Futter für die Jungen von weit her herbei. Die Fische enthalten auch genug Wasser.
Die Biologen haben inzwischen bereits mehrere Anfragen für weitere Flussseeschwalben-Kolonien auf Flachdächern erhalten, zum Beispiel von Naturschutzvereinen und der Stadt Zürich. Noch sei nichts konkret, sagt Ritschard. Das Bootshaus in Horgen könnte aber nächstes Jahr wieder zur Kinderstube werden: Die Vogelschützer konnten Ende Saison bereits wieder neue Altvögel beobachten, die das Brutfenster inspizierten.
Orniplan ist das Ökobüro des Schweizerischen (SVS/BirdLife Schweiz) und des Zürcher Vogelschutzes (ZVS/BirdLife Zürich).