Tausende Schaulustige haben am Klosterberg Mont-Saint-Michel an der nordfranzösischen Küste das Naturspektakel einer «Jahrhundertflut» bestaunt. Das Wasser stieg am Samstagmorgen rasch an und umschloss schliesslich die Weltkulturerbestätte komplett.
Die Brücke, die zu der Insel führt, stand an einer Stelle unter Wasser. Der Meeresspiegel sollte vom tiefsten Punkt der Ebbe bis zum höchsten Punkt der Flut um rund 14 Meter ansteigen.
Möglich wird diese sogenannte Jahrhundertflut, die in Wirklichkeit alle 18 Jahre vorkommt, durch die Tatsache, dass Erde, Mond und Sonne derzeit auf einer Achse liegen. Dadurch wirken die Anziehungskräfte von Mond und Sonne auf das Meereswasser, die für Flut und Ebbe verantwortlich sind, besonders stark. Diese Stellung der Himmelskörper hatte auch zu der Sonnenfinsternis am Freitag geführt.
Rekord erwartet
Am Klosterberg Mont-Saint-Michel fallen Ebbe und Flut besonders stark aus. Für den Samstagmorgen hatten die Experten einen Gezeitenkoeffizienten von 118 auf einer Skala von 20 bis 120 vorhergesagt. Für Samstagabend, wenn die Flut ein zweites Mal kommt, ist sogar ein Koeffizient von 119 berechnet – ein Rekordwert.
Auch am Freitagabend hatte die Flut den Klosterberg umspült, der einer der meistbesuchten Touristenorte Frankreichs ist. Rund 10’000 Menschen wohnten dem Spektakel bei. Der Klosterberg und die im vergangenen Jahr eröffnete neue Brücke zu dem Monument wurden von Scheinwerfern bestrahlt.
Zur Flut am Samstagmorgen kamen sogar der französische Aussenminister Laurent Fabius und Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian.
Wieder eine Insel
Die Besucherin Marie-Reine Sallou war schon mehrmals am Mont-Saint-Michel, aber noch nie bei einer solchen Flut: «Die Sonne ist aufgegangen und die Flut ist gestiegen – es war grossartig», berichtete die Französin aus dem nahegelegenen Rennes.
«Der Mont-Saint-Michel ist wieder eine Insel geworden. Es war wirklich bewegend zu sehen, wie der Mont von Wasser umgeben ist.» Ein anderer Besucher war dagegen «ein bisschen enttäuscht» – er hatte sich die Flut spektakulärer vorgestellt.
In Saint-Malo in der Bretagne versammelten sich nach Behördenangaben am Samstagmorgen sogar 20’000 Besucher in Regenjacken und Gummistiefeln entlang der vom Wasser umspülten Stadtmauern, um das Naturspektakel mitzuerleben.
Auch hier hatten sich einige Schaulustige aber mehr erhofft. Er habe schon «viel beeindruckende» Wellen erlebt, sagte ein Besucher. Diesmal hätten aber noch nicht einmal die Strassen unter Wasser gestanden.
Alle 18 Jahre
Die letzte solch grosse Flut hatte es in Frankreich am 10. März 1997 gegeben, die nächste ist für den 3. März 2033 berechnet. Stärker als am Mont Saint-Michel fällt der Unterschied zwischen Ebbe und Flut lediglich in der Bucht von Fundy an der kanadischen Atlantikküste aus, dort kann er rund 16 Meter betragen.
Auch in Feuerland an der Südspitze Südamerikas, in Australien und Grossbritannien sollte das Naturereignis gut zu beobachten sein. Im Kanal von Bristol im Südwesten Englands sollte der Tidenhub ebenfalls bei etwa 14 Metern liegen.