Folgt den Baukränen! Der andere Spaziergang durch Basel

Der Winter lockt ins Museum oder Café, wir haben uns dennoch zu einem Stadtspaziergang der besonderen Art inspirieren lassen. Unsere Route bestimmen hochaufragende Baukräne. Sie signalisieren eine Stadt im Wandel. Ein paar Interpretationen. Immer den Baukränen nach, haben wir uns vorgenommen. Im historischen Stadtkern halten wir zunächst inne auf der Terrasse der Alten Universität am […]

Der Blick vom Rheinsprung hinüber ins Kleinbasel.

Der Winter lockt ins Museum oder Café, wir haben uns dennoch zu einem Stadtspaziergang der besonderen Art inspirieren lassen. Unsere Route bestimmen hochaufragende Baukräne. Sie signalisieren eine Stadt im Wandel. Ein paar Interpretationen.

Immer den Baukränen nach, haben wir uns vorgenommen. Im historischen Stadtkern halten wir zunächst inne auf der Terrasse der Alten Universität am Rheinsprung und überblicken das Panorama von Kleinbasel.

Als erstes fällt ein dominanter Kran mit Ausleger ins Auge, dessen Standort sich in der Rheingasse befindet, weiter oben ist es die ebenfalls durch Kräne markierte Grossbaustelle auf dem Areal des ehemaligen Kinderspitals. Dort entsteht zur Zeit der RIVA-Wohnkomplex. Im Roche-Umfeld findet sich, ausgehend vom emporwachsenden Hochhaus des Pharmaunternehmens, ein ganzes Ensemble von Kränen, die sich vor dem Himmel abzeichnen.

Mit Lärmimmissionen im Ohr weiter

Das Pendant dann auch gleich rheinabwärts: In der Industriezone signalisiert die Novartis als Chemieunternehmen mit Kränen ihre Ausbauaktivitäten. Der Blick auf die Kräne eröffnet interessante Ratemöglichkeiten: Nicht immer ist klar, wer was baut – sein Wissen um den aktuellen Stand der Stadtentwicklung kann man so prüfen (oder eben später recherchieren, was auf den neu entdeckten Baustellen entsteht).

Wir gehen weiter, vorbei am zurzeit von Turmeinrüstungen befreiten Münster, und kommen zur Grossbaustelle des künftigen Erweiterungstraktes des Kunstmuseums mit entsprechend vielen Kränen und Baumaschinen. Mit den Lärmimmissionen im Ohr gehen wir weiter und freuen uns auf das erweiterte Raumangebot zugunsten der Kunstpräsentation.

Weiter östlich stossen wir auf eine betriebsame Baustelle der Sparte Wohnungsbau. Über die Wettsteinbrücke nähern wir uns dem Stadtteil Kleinbasel, wo zahlreiche Neubauprojekte kurz vor oder schon in der Realisierungsphase stehen. Bereits vollendet ist das imageträchtige Gebäude der Messe Basel, das eine urbanistisch wichtige Position auf der Wegstrecke vom Badischen Bahnhof zur Kleinbasler Innenstadt besetzt. Es unterbricht die Achse, die zum lokalen Zentrum führt, dem Claraplatz, wo unser Spaziergang endet.

Blinde Flecken in der Stadtwahrnehmung

Anlässlich eines solchen motivisch-thematisch verfahrenden Flanierens durch die Stadt wird uns bewusst, dass wir im Alltag anders wahrnehmen. Wenn wir im Alltag zielorientiert unterwegs sind, blenden wir vieles aus, was Ortsfremden eher ins Bewusstsein dringt. Dazu gehören prozesshafte Übergangssituationen und zwischenzeitliche Unorte wie Baustellen.

Dabei kann man die gelben, blauen und orangen Kräne durchaus als punktuell farbige Bereicherung empfinden, die nach dem Kontrastprinzip Spannung ins gewohnte Erscheinungsbild bringen und die Wahrnehmung sensibilisiert. Es ergeben sich interessante Interferenzen und Brüche, die man positiv sogar als eine Art Ausprägung des Pittoresken interpretieren mag.

Aspekt Tourismus: Das Problem des visuellen Entzugs

Als in Basel wohnhafte Japanerinnen (die Autorinnen Ayako Kyodo und Aoi Nissato) können wir uns gut in die Perspektive von Touristen einfühlen. Wir denken vor allem an Ferntouristen, die im Rahmen ihrer Europareise Basel einmalig besuchen. So bereisten 2012 beispielsweise allein 509’000 Japaner die Schweiz. Der Beweggrund für eine Reise nach Europa sind primär historische Bauten und Sehenswürdigkeiten.

Aus diesem Blickwinkel erscheint ein Umbau oder eine Renovierung als gefürchteter Umstand, da verbunden mit Unzugänglichkeit oder visuellem Entzug. Beispiel Spalentor, ein prominentes Baudenkmal des alten Basel, dessen Renovierungsmassnahmen weitgehend abgeschlossen sind. Während der Arbeiten kompensierte eine vorgehängte Plane, bedruckt mit dessen Abbild, den visuellen Entzug des identitätsstiftenden Originals.

Was für den Einwohner der Region als vorübergehende Einschränkung verkraftbar bleibt, mündet für den einmalig vor Ort präsenten Touristen in herbe Enttäuschung. Vor diesem Hintergrund empfinden die Betroffenen die Anwesenheit von Kränen im historischen Stadtkern als bedrohliche Störung in Bezug auf ihre sorgsam zurechtgelegten Besichtigungspläne. Ausserhalb des Stadtzentrums wird das Vorkommen weniger negativ gewertet. Angesichts des Aufwandes einer Fernreise überlegen sich manche potenzielle Touristen, ob sich die Mühe überhaupt lohnt, wenn sie am Reiseziel das angestrebte Objekt nicht betreten oder betrachten können.

Umakzentuierung des touristischen Angebotes

Wie wäre es, wenn der Blick nicht nur auf die Vergangenheit und die klassischen Sehenswürdigkeiten, sondern auf die Zukunft, mit ihren neuen Brennpunkten, gerichtet würde? Wenn die Stadt in ihrer ganzen Dynamik gezeigt würde? Wenn unsere Blicke – wie durch die Kräne – in andere Bahnen gelenkt würden?

Die Aufmerksamkeit nicht nur der Ortsansässigen, sondern auch diejenige der Touristen wird durch die erwähnten «Fremdkörper» im gewohnten Stadtbild auf Brennpunkte der Stadtentwicklung hingewiesen, auf Orte, die zu künftigen Ankerpunkten im Stadtgeflecht avancieren könnten. Diese weithin sichtbaren Repräsentanten der Stadtentwicklung liessen sich nutzen als Einstieg, um zu einem vertieften Einblick zu gelangen.

Dieser unkonventionelle Zugang abseits der Fokussierung auf das zeitenthobene, intakte, ästhetisch-ideale Erscheinungsbild würde neue, vermehrt zukunftsorientierte Themenfelder eröffnen. Vorstellbar wäre die Vermittlung von Themen wie «Renovierungskonzepte», «Umnutzung von bestehenden Gebäuden», «Bauliche Konsequenzen wirtschaftlichen Wandels». Und der Kran könnte das Symbol abgeben für diese neuen Stadtrundgänge.

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