Forscher fordern Diskussion um Doping im Alltag

Dürfen Ärzte an sich gesunden Menschen Pillen zur Überwindung von normaler Prüfungsangst oder Schüchternheit geben? Die medizinische Akademie warnt in einem Bericht vor ethischen Problemen mit der pharmakologischen «Verbesserung» des Menschen.

Auch Studierende nehmen oft leistungssteigernde Mittel ein (Symbolbild) (Bild: sda)

Dürfen Ärzte an sich gesunden Menschen Pillen zur Überwindung von normaler Prüfungsangst oder Schüchternheit geben? Die medizinische Akademie warnt in einem Bericht vor ethischen Problemen mit der pharmakologischen «Verbesserung» des Menschen.

Als Human Enhancement werden medizinische Behandlungen bezeichnet, die Körper und Psyche künstlich in Bestform bringen sollen. Im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften (SAMW) hat eine Arbeitsgruppe aus Ethikern und Medizinern das Neuroenhancement, also das pharmakologische Aufpeppen des Gehirns, untersucht.

Doping im Sport ist als Betrug verpönt, Kokain ist illegal. Kaffee und Zigaretten sind indes akzeptabel, und viele Studenten und Wissenschaftler dopen sich regelmässig mit leistungssteigernden Mitteln. In den USA erzielt das wachmachende Medikament Modafinil – eigentlich gegen die Schlafsucht Narkolepsie entwickelt – bereits Milliarden-Umsätze.

Solche Substanzen oder zukünftig verfügbare Mittel wie Gehirnimplantate würden graduell die Leistungsgrenze verschieben, heisst es im neuen Bericht „Medizin für Gesunde?“ der SAMW. „Enhancement ist eine Antwort auf die Erwartungen und Anforderungen unserer heutigen Gesellschaft“, schreiben die Autoren.

«Moralische Pflicht»

Nach Ansicht der Befürworter ist dies in Ordnung. Da leistungssteigernde Mittel ohnehin eingesetzt werden, sollten aufgeklärte und frei entscheidende Menschen diese besser auf legale Weise erwerben können als risikoreich auf dem Schwarzmarkt. Einige halten die Optimierung der menschlichen Fähigkeiten angesichts einer ungewissen Zukunft sogar für eine „moralische Pflicht“.

Die Kritiker betonen hingegen die Sicherheitsrisiken, die Medikamente für an sich gesunde Menschen darstellen. Sie zweifeln auch daran, ob die Entscheidung tatsächlich autonom erfolgt und nicht unter dem Druck, bestimmte Leistungen am Arbeitsplatz zu erbringen.

Zudem würde sich die Kluft zwischen Bessergestellten, die sich Enhancement leisten können, und Benachteiligten vergrössern. Besonders kritisch sei es, wenn Kinder pharmakologisch auf Leistung getrimmt würden.

Mediziner gefordert

Da viele dieser Substanzen verschreibungspflichtig sind, richtet sich der Bericht in erster Linie an die Mediziner. „Sie werden ganz unmittelbar mit der Frage konfrontiert, ob sie solche Produkte zugänglich machen sollen oder nicht“, schreiben die Autoren.

Sie kommen zum Schluss, dass keine klare Trennung zwischen Therapie und Enhancement möglich ist. Nach der Devise „wer leidet, ist krank“ würde zumindest ein Teil der Ärzte die Verschreibung von Enhancementprodukten pragmatisch handhaben.

Keine Verbote

Neue gesetzliche Regelungen sind jedoch nicht nötig, befindet die am Bericht beteiligte Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. So seien etwa ungeborene Kinder durch bestehende Gesetze vor Eingriffen geschützt und Ärzte dazu verpflichtet, Behandlungen nicht ohne medizinischen Grund durchzuführen.

Eine offene Fragen ist indes, wer für mögliche Gesundheitsfolgen der Eingriffe bezahlen soll: Die gesetzliche Grundversicherung oder der Patient, der sich mit Enhancementprodukten in Gefahr brachte?

Die SAMW fordert weder Einschränkungen oder Verbote beim Neuroenhancement. Ärzte, Pflegende und Wissenschaftler müssten sich jedoch kritisch damit auseinandersetzen: „Die Medizin sollte sich nicht zur Komplizin zweifelhafter gesellschaftlicher Normen machen“, schreibt sie.

Vielmehr seien die Patienten zu ermutigen, exzessive Anforderungen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls ihre Umweltbedingungen zu verändern.

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