Politischer Neuanfang für Frankreich: Präsident Emmanuel Macron ist neu, seine siegreiche Partei ist neu und nach den Parlamentswahlen vom Sonntag ziehen auch in die Nationalversammlung zu drei Vierteln neue Gesichter ein.
Die Mitte-Regierung trat nach der Parlamentswahl traditionsgemäss zurück. Der Konservative Edouard Philippe bleibe Premierminister und werde bis Mittwoch eine neue Mannschaft vorstellen, teilte der Élysée-Palast am Montag in Paris mit.
Mit Änderungen in den Kernressorts der Regierung wird nicht gerechnet. Medien berichteten aber, der wegen einer Immobilienaffäre in die Kritik geratene Wohnungsbauminister Richard Ferrand werde die Regierung verlassen.
Macron habe Ferrand gebeten, sich um den Fraktionsvorsitz seiner Partei La République en Marche in der Nationalversammlung zu bewerben, berichteten der Radiosender Franceinfo und mehrere andere Medien übereinstimmend.
Ferrand soll als damaliger Chef eines Krankenversicherungsvereins in der Bretagne seine Lebensgefährtin bei einem Immobiliengeschäft bevorzugt haben, die Staatsanwaltschaft nahm Vorermittlungen auf. Ferrand wies Vorwürfe eines Interessenkonfliktes zurück. Er baute die Präsidentenpartei massgeblich auf und gilt als Vertrauter des Staatschefs.
Weniger grosse Mehrheit als erwartet
Macrons Partei und die verbündete Zentrumspartei MoDem kamen nach Zahlen des Innenministeriums vom Montag aus dem Stand auf 350 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Die absolute Mehrheit war damit ungefährdet, aber weniger deutlich als erwartet.
Die bürgerlichen Parteien um die konservativen Republikaner kamen auf 137 Sitze. Die Sozialisten von Macrons Amtsvorgänger François Hollande stürzten ab und erreichten zusammen mit anderen Kandidaten der moderaten Linken 45 Sitze. Sozialisten-Chef Jean-Christophe Cambadélis trat noch am Sonntagabend zurück. Der Kollaps seiner Partei sei perfekt. Sie müsse nun von der Spitze an erneuert werden.
Republikaner und Sozialisten hatten die Politik in Frankreich über Jahrzehnte dominiert, waren aber schon bei der Präsidentenwahl von den Wählern abgestraft worden.
Der Rechtspopulistin Marine Le Pen gelang erstmals der Einzug ins französische Parlament. Insgesamt kommt ihr Front National auf acht Plätze in der ersten Kammer – damit verpasst die Partei die nötige Anzahl Sitze für eine eigene Fraktion.
Umfangreichste Erneuerung seit 1958
Der Nationalversammlung steht die bislang umfangreichste Erneuerung seit Gründung der Fünften Republik 1958 bevor. Einerseits waren 212 der bisherigen Abgeordneten nicht mehr zur Wahl angetreten. Andererseits hatte die neue Partei von Macron gezielt Politneulinge für die Parlamentswahl aufgestellt. Viele von ihnen haben künftig einen Sitz in der Nationalversammlung.
Nur 142 der 577 Mitglieder der bisherigen Nationalversammlung behalten ihren Sitz. Von den bisherigen Abgeordneten, die erneut in ihrem Wahlkreis kandidiert hatten, schieden 122 im ersten und 81 im zweiten Wahlgang aus.
Mit der komfortablen Mehrheit für Macrons Lager haben die französischen Wählerinnen und Wähler dem 39-jährigen Präsidenten freie Hand für die Durchsetzung seiner Reformagenda gegeben. Widerstand aus dem Parlament hat er kaum zu befürchten.
Frankreichs Opposition werde auf den Strassen sein und in den Gewerkschaften, sagen Beobachter. Die Gewerkschaften haben bereits ihre Forderungen angemeldet, wenn Macron den Arbeitsmarkt und das Rentensystem reformieren will.
Sehr tiefe Wahlbeteiligung
Macrons Wahlerfolg wird allerdings durch die tiefe Wahlbeteiligung getrübt. Sie lag in der entscheidenden zweiten Runde der Parlamentswahl auf einem neuen historischen Tiefpunkt von knapp 43 Prozent. Ausserdem gaben knapp zehn Prozent der Urnengänger entweder einen leeren Wahlumschlag oder eine ungültige Stimme ab.
Angesichts dessen sei die Politikverdrossenheit nicht alleine mit der Rundum-Erneuerung des politischen Personals überwunden, sagte Martial Foucault, Chef des Meinungsforschungsinstituts Cevipof. Die Frage sei, wie man den Draht zwischen den Wählern und den Volksvertretern wieder herstellen könne. «Selbst mit den neuen Gesichtern sieht man, dass der Faden gerissen ist.»
Regierungssprecher Christophe Castaner sah die tiefe Wahlbeteiligung als Zeichen für die Notwendigkeit einer politischen Wende in Frankreich. Dem Sender RTL sagte er am Montag: «Dies war nicht der wahre Sieg, dieser wird in fünf Jahren errungen, wenn wir die Dinge verändert haben.»