Beide waren sie schon vor zwei Jahren bei Stimmen zu Gast: Die belgische Soulröhre Selah Sue und das norwegische Frauenquartett Katzenjammer, damals im Idyll des Lörracher Rosenfelspark. Der Transfer auf den großen Marktplatz der Stadt funktionierte mit Abstrichen.
«I’ll Blow Your Mind Crazy» steht unter anderem auf den riesigen Textfahnen hinter der Bühne. Ein hoher Anspruch, den sich Sanne Putseys alias Selah Sue da selbst gesteckt hat. 2010 wie auch jetzt ist sie eine imposante Erscheinung: Die 23-jährige aus Löwen stolziert ganz in Schwarz, mit hoch drapierter blonder Mähne über die Bühne, und sie macht das so souverän, als wäre sie schon Jahrzehnte im Business.
Dabei hat sie die Ausstrahlung eines koketten, frechen Mädchens noch nicht abgestreift. Und wie auch beim ersten Lörracher Auftritt staunt man über diese Stimme: Sie knallt die Silben mit einer Art gepressten Nuschelns heraus, hält die Töne nie lange an, wie Nadelstiche wirkt das auf die Ohren. Sicherlich: Das klingt auch reichlich affektiert, lehnt sich schamlos an eine Erykah Badu genau wie an eine Duffy an.
Rauer Charme, druckvoller Sound
Was anders ist als vor zwei Jahren: Spielte sie damals ihren rauen Charme in einem eher akustischen Setting aus, fährt sie jetzt einen viel druckvolleren Sound auf. Für ihren Stil ist das, vor allem in der Lautstärke, fast grotesk übertrieben. Denn da steht ja keine ausgewachsene Soulbigband auf der Bühne, sondern gerade mal ein E-Gitarrist, Bassist, Drummer und Keyboarder, der sämtliche Bläser mimt. Der Mix aus Raggamuffin, HipHop, Funk und Folk wird dadurch fast ein bisschen verwaschen und beliebig.
Viel unmittelbarer wirken die scharfen Rap-Passagen und die souligen Endlosschleifen, wenn Selah Sue sie zur Akustikgitarre vorträgt. Und plötzlich liefert sie auch ein Intro mit fast opernhaften Soprananwandlungen. Ob sich die Belgierin im gesättigten Nu Soul-Terrain auf Dauer durchsetzen wird? Nach diesem eigentümlich ambivalenten, und zudem zu kurzen Auftritt ist das unentschiedener als noch 2010.
Quirliger Zirkus
Längst Stars sind die vier Frauen von Katzenjammer: In ihrer Heimat spielen sie vor dem Königshaus, werden mit Preisen überhäuft, und auch im deutschsprachigen Raum sind sie extrem beliebt, man findet sie im Line-Up aller großen Rockfestivals vom Hurricane übers Southside bis zum Gurten. Allein in der Region waren sie binnen der letzten beiden Jahre vier Mal zu erleben. Das scheint den Besuchern von Stimmen schnuppe zu sein, denn auch jetzt ist der Marktplatz ordentlich voll.
Die vier Osloerinnen, die sich nach dem ersten Comic der Welt («The Katzenjammer Kids») benannt haben, stehen aber auch immer wieder aufs Neue als Garant für einen Gutelaune-Abend. Katzenjammer: Das ist eine quirlig-frecher Mädchenzirkus, der seinen Stil mal als «Rattle-Folk-Pop-Rock-Bluegrass-on-Circus-with-Cowboy-and-Indian-Music» bezeichnet hat. In dem Instrumente so oft getauscht werden, dass die Musikerinnen selbst auch schon mal durcheinander kommen, wer bei welchem Stück nun Kontrabassbalalaika, Gitarre, Klavier, Akkordeon oder Drums zu spielen hat. Und der von den vier unterschiedlichen Charakteren lebt: Da ist die Pippi Langstrumpf-hafte Göre Solveig Heilo, die schöne Dame mit Hut Turid Jørgensen, die eher zarte Anne-Marit Bergheim und die Matrone Marianne Sveen im hautengen Armeekleid.
Von Charleston bis Punk
Die vier Skandinavierinnen beginnen ihre Show eher mit angezogener Handbremse, ganz anders als damals im Park, wo es vom ersten Moment an zündete. Viel Countryflair mit Banjo gibt’s, eine frivole Charlestoneinlage, das folkige Roadmovie «Rock, Paper, Scissors» mit trinkseligem Refrain und den poppig-sommerlichen Titelsong der aktuellen Scheibe «A Kiss Before You Go». In ein Lichtnetz getaucht schwelgt Bergheim zu einem Geflecht aus Spieluhren und Glockenspiel in ihrer Ballade «Lady Marlene», und zu den Andrew Sisters zurückversetzt fühlt man sich, als Sveen ein gesungenes Kirschkuchenrezept zum Besten gibt.
Richtig Fahrt nimmt die Show erst auf, als in blutrotes Licht getränkt das Genesis-Cover «Land Of Confusion» rockgewittrig auf den Marktplatz niederdonnert. Ab da allerdings ist kein Halten mehr: Katzenjammer streifen den Punk als eine Art Neuausgabe der B-52’s mit schrill-freakigem Gesang von Jørgensen, für die «Bar In Amsterdam» holt Heilo die schmetternde Trompete aus der Versenkung, und schließlich hämmert Sveen so auf ihr Schifferklavier ein, das man sich in eine Hafenkaschemme versetzt fühlt, in der die Bordelldamen kurzerhand das Regiment übernommen haben. Der dramatische Schlusspunkt ganz ohne Instrumente: «God’s Great Dust Storm», ein A cappella-Stück mit tiefschwarzem Gospel-Appeal fährt einem fast erschreckend in die Glieder. Diese vier konnten den Marktplatz auch mit bloßer Stimmenkraft rocken.