«Freiheit ist das Wichtigste» – das offene Flüchtlingslager Pikpa

Das offenen Flüchtlingslager Pikpa auf Lesbos wurde von Anwohnern initiiert, um Flüchtlingen eine Unterkunft und Verpflegung bieten zu können. «In einem von diesen bin ich hier angekommen», sagt der Mann. Er deutet auf das Boot neben uns. Der Jüngere neben ihm nickt zustimmend. «Zwei Stunden hat es gedauert», sagt der erste. «Bei mir nur eineinhalb», […]

Ein sudanesischer Flüchtling in seiner Unterkunft im offenen Flüchtlingslager PIKPA.

Das offenen Flüchtlingslager Pikpa auf Lesbos wurde von Anwohnern initiiert, um Flüchtlingen eine Unterkunft und Verpflegung bieten zu können.

«In einem von diesen bin ich hier angekommen», sagt der Mann. Er deutet auf das Boot neben uns. Der Jüngere neben ihm nickt zustimmend. «Zwei Stunden hat es gedauert», sagt der erste. «Bei mir nur eineinhalb», wirft der Jüngere beinahe stolz ein. «Das Wetter war gut. Und der Steuermann ein Held.»

«Wir gehen zurück ins Pikpa. Willst du mitkommen?»

Eigenlich wollte ich mich auf den Weg zurück nach Mytilini machen, als die beiden auf mich zukamen. Seit zwei Stunden ging ich schon der Küste entlang. Ich stimme zu.

«Naeem», sagt der Mann, lächelt und streckt mir die Hand entgegen. Dann der Jüngere. Er stellt sich als Yasser vor. Auf dem Weg zum Camp unterhalten wir uns. Naeem ist aus dem Sudan geflohen; Yasser aus Algerien. «Morgen gehe ich nach Athen», sagt Yasser. «Dann durch Albanien, weiter nach Österreich, Deutschland oder in die Schweiz.» Das sei alles kein Problem, erklärt er. Der junge Algerier wirkt aufgedreht. Voller Hoffnung. Voller Zuversicht.

Naeem ist schon etwas länger hier. Er will auf seinen Asylentscheid warten, um dann legal weiter zu reisen. Nach England.

Pikpa: Einst Ferienlager, heute Flüchtlingslager

Kleine Holzhäuschen, ein etwas heruntergekommener Kinderspielplatz, viel Grünfläche und ein zweistöckiges beiges Haus präsentieren sich uns, als wir aus einem Wald heraustreten. Pikpa. Früher war hier ein Ferienlager für Jugendliche – genauso sieht es aus.

Das offene Flüchtlingslager wurde im Dezember 2012 von Freiwilligen in Vereinbarung mit dem damaligen Bürgermeister eingerichtet, nachdem immer mehr Flüchtlinge auf der Strasse lebten. Seither bietet es eine Unterkunft für alle, die keine haben.



Naeem vor seiner Unterkunft in PIKPA.

Naeem vor seiner Unterkunft in PIKPA. (Bild: Simon Krieger)

Naeem geht auf eines der Häuser zu, öffnet die Tür und bittet mich herein. «Fühl dich wie Zuhause», sagt er und beginnt sogleich Tee aufzusetzen. Sein Zimmergenosse springt vom Bett auf und begrüsst mich. Auch er ist aus dem Sudan.

«Im Moment ist es relativ ruhig hier», sagt Naeem. «Die Menschen kommen und gehen. Viele warten hier nur auf die nächste Fähre nach Athen.» Nur wenige der kleinen Häuser seien im Moment bewohnt. «Du kannst gerne hier schlafen», sagt er. «Aber das ist kein guter Ort für dich.» Ich denke an Javed. Er hat dasselbe über die Fabrik in Patras gesagt. Ich schaue mich um und muss lachen. Mein Hotelzimmer in Mytilini sieht nicht wesentlich besser aus.

Naeem reicht mir eine Tasse Tee und wir setzen uns draussen auf eine Bank zu Yasser. «Ist es ein guter Ort für dich?», frage ich. Er zögert. «Ich will mich nicht beklagen», sagt er dann.  

«Komm mit», sagt er nach einer Weile. «Ich zeige dir das Camp». Ich folge ihm über die Wiese, vorbei an einigen Zelten, die bei grossem Andrang ebenfalls genutzt werden können, in Richtung des beigen Hauses. «In dem Haus leben die Afghanen», erklärt Naeem. Der Eingang ist im ersten Stock, die Treppe hoch, von wo uns zwei Kinder zuwinken. Unter der Treppe befindet sich die Gemeinschaftsküche: ein Herd mit vier Platten, ein Tisch und ein Kühlschrank.

Yasser öffnet den Kühlschrank und winkt mich zu sich. Leer. «Siehst du», sagt er, beginnt zu lachen und posiert vor dem leeren Kühlschrank: «Mach ein Foto davon und zeig es. Wir brauchen Essen.» Pikpa wird einzig aus Spenden finanziert: Kleider, Lebensmittel oder Geld, das von Anwohnern gesammelt wird. Die Lieferungen werden von den Organisatoren direkt an die Flüchtlinge verteilt – die Rationen seien oft eher knapp.

Im nächsten Raum sind Matratzen gelagert. Schmutzige Matratzen. Daneben einige Kisten mit Kleidern, die meisten davon für Kinder. Wir gehen weiter zu den Toiletten und Duschen. «Niemand putzt», sagt Naeem, als wir den Raum betreten. So sieht es auch aus. Bei vielen Toiletten funktioniert die Spülung nicht mehr. «Ich würde auch selber putzen», meint er, «nur haben wir kein Material hier.»



Kisten mit Kleidern, die von Anwohnern abgegeben wurden.

Kisten mit Kleidern, die von Anwohnern abgegeben wurden. (Bild: Simon Krieger)

«Aber hier bin ich frei», sagt Naeem. Zuvor war er im Moria Camp, dem Gefängnis für ankommende Flüchtlinge. Wie ein Krimineller behandelt zu werden, hätte ihm psychisch zugesetzt, erzählte er mir. Einen Monent lang sagt er nichts. Dann: «Freiheit ist das Wichtigste.»

Auf den Spuren des jungen Afghanen Javed, reist Simon Krieger seinen Fluchtweg zurück bis in den Iran. Dort trifft er Javeds Mutter, um für Javed ein Foto von ihr zu machen. Der afghanische Flüchtling, kann sich – nach elf Jahren ohne Papiere in Griechenland – nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Diese Reise dokumentiert der Blog «Fluchtweg».



Die ungefähre Route von Javeds Flucht aus dem Iran bis nach Griechenland.

Die ungefähre Route von Javeds Flucht aus dem Iran bis nach Griechenland.

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