Im Streit darüber, ob ein muslimisches Mädchen in St. Margrethen SG mit Kopftuch die Primarschule besuchen darf, hat der Einzelrichter des Kreisgerichts Rheintal am Mittwoch die beiden Eltern freigesprochen. Sie hätten sich zu Recht auf die Religionsfreiheit berufen.
Ursprung des Konflikts war ein Kopftuchverbot, das die Schule St. Margrethen im Sommer 2013 verfügte. Die muslimischen Eltern schickten ihre Tochter darauf für einige Wochen nicht mehr zur Schule. Das Mädchen erarbeitete den Schulstoff zu Hause allein.
Gegen das Kopftuchverbot erhoben die Eltern Rekurs beim kantonalen Bildungsdepartement. Dort ist der Fall noch hängig. Im November 2013 entschied das st. gallische Verwaltungsgericht, die Schülerin dürfe bis zum Abschluss des Verfahrens mit Kopftuch am Unterricht teilnehmen. Seither geht das Mädchen wieder zur Schule.
Parallel zu diesem Verfahren erliess die Staatsanwaltschaft Mitte Oktober 2013 Strafbefehle gegen beide Eltern. Sie warf ihnen vor, ihre Erziehungs- und Fürsorgepflicht verletzt sowie gegen amtliche Verfügungen und gegen das kantonale Volksschulgesetz verstossen zu haben.
Unbedingte Gefängnisstrafe
Gegen den Vater sprach die Staatsanwaltschaft eine unbedingte Gefängnisstrafe von drei Monaten und eine Busse von 2500 Franken aus, gegen die Mutter eine bedingte Geldstrafe und eine Busse von 800 Franken. Dagegen erhoben die beiden Rekurs.
Sie hätten ihre Tochter religiös erzogen. Das Mädchen wolle das Kopftuch aber selber tragen, erklärten die Eltern dem Richter. «Ich bin sehr stolz auf sie», sagte die Mutter. Der Vater betonte, er sei kein extremistischer Moslem. Das Problem sei, «dass man uns nicht akzeptiert».
Der Verteidiger forderte Freisprüche und Toleranz gegenüber der Familie. Die Eltern seien alles andere als Glaubensfanatiker, aber «zwei Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen». Den Schulbehörden von St. Margrethen warf der Anwalt Sturheit und ideologische Verblendung vor.
Schulklasse hat nichts gegen Kopftuch
Das Kopftuch störe den Unterricht nicht. Zum Beweis dafür legte der Anwalt einen Brief vor, den das Mädchen von seiner Schulklasse erhalten habe. Die Mitschülerinnen und Mitschüler schrieben darin, sie hätten nichts dagegen, dass das Mädchen mit Kopftuch zur Schule komme.
Völlig anders sah die Staatsanwältin den Fall: Sie warf den Eltern fehlende Integrationsbereitschaft und «beispiellose Ignoranz gegenüber der schweizerischen Rechtsordnung» vor. Ihre kompromisslose Haltung führe zwangsläufig zu Konflikten.
Nicht nur wegen des Kopftuchs, auch wegen Absenzen der Kinder beim Schwimmunterricht oder bei Schullagern seien die Eltern wiederholt gebüsst worden. Dies habe sie aber nicht beeindruckt. Sie lebten von Sozialhilfe und könnten die Bussen sowieso nicht bezahlen, habe der Mann erklärt. Für ihn sei eine unbedingte Gefängnisstrafe angebracht.
Rekurs beim Bildungsdepartement hängig
Der Einzelrichter sprach beide Eltern frei. Das Fernbleiben der Tochter vom Unterricht sei zwar grundsätzlich nicht erlaubt. Die Religionsfreiheit rechtfertige aber ihr Verhalten. Zur Glaubens- und Religionsfreiheit gehörte auch das Recht, ein Kopftuch zu tragen.
Für die Freisprüche mitentscheidend war auch die Tatsache, dass die Eltern das Kopftuchverbot mit einem Rekurs anfochten. Sollte das Kopftuchverbot in der Schweiz gerichtlich bestätigt werden, würde die Sache anders aussehen, sagte der Richter.
Islamischer Zentralrat begrüsst Urteil
Der Islamische Zentralrat der Schweiz (IZRS) begrüsste das Urteil als «folgerichtig». Den betroffenen Eltern sei es nie darum gegangen, ihre Tochter an der Teilnahme des Schulunterrichts zu hindern, heisst es in einer Stellungnahme des als fundamentalistisch geltenden IZRS.
Der IZRS unterstützt die muslimische Familie aus St. Margrethen im Beschwerdeverfahren um das Kopftuchverbot vor dem kantonalen Bildungsdepartement. Am Straffall vom Mittwoch in Altstätten sei der IZRS aber nicht beteiligt, erklärte der Anwalt der Eltern.