Für die nächsten fünf Jahre hat Frankreich sein Parlament gewählt. Aber es hat nur die Hälfte der Franzosen interessiert. Im Herbst wird es mich interessieren müssen – mehr als dieser Traktor heute morgen.
Traktoren, Lieferwagen, Autos, die mürrische Gesichter zur Arbeit fahren nach diesem warmen, sommerlichen Sonntag. Ein Wahlsonntag war es ja im übrigen auch, den aber fast die Hälfte der Franzosen ungenutzt verstreichen liess. Man hat sich nun halt mit einem anderen Parlament arrangiert – aber das sorgt eigentlich nur noch in den Zeitungen für Aufruhr. Etwas grössere Schlagzeilen, etwas deftigere Worte: der «Totale Sieg der Rechten».
Im verschlafenen Hotel Oré de Chambord erwacht eine Reisegesellschaft aus Marseille, eine schwitzende Serviertochter bringt mir einen Kaffee in den Garten, wo ich ein bisschen schreibe, während Sylvia noch schläft. Ich lese die Zeitungen, studiere die Analysen und werde mir bewusst, dass ich im Herbst ja nach Paris zügeln und als Korrespondent in diesem Land leben werde. Dann muss mich dieses Parlament, diese Politik wieder stärken interessieren müssen. Dann werde ich mich Leuten, die jetzt gewählt worden sind, reden müssen. Aber lassen wir das – es wird früh genug soweit sein.
Wir wollen keine zu grosse Tour machen, Sylvia ist noch recht müde und ich bin froh um ein bisschen Erholung. So einen Tag nichts zu tun wie gestern (oder wenig zu tun), holt alle Beschwerden aus den Knochen. Wir fahren mit dem Auto zurück nach St-Dyé, dann auf der Strasse ein ganzes Stück dorthin, wo ich eigentlich auf dem direktesten Weg nach Sizilien hätte durchziehen sollen statt wieder zur Loire hinaufzugehen.
Ein malerisches Hotel
Vierzon, eine verschlafene Kleinstadt an einem Montag kurz nach dem Mittag. Die Läden machen sowieso nicht auf, und Sylvia hätte gern ein paar Shorts gekauft. Wir finden sie trotz fast durchgehend geschlossenen Geschäften, tuckern durch diese plötzliche hochsommerliche Hitze, die nun sehr schnell und früh gekommen ist, an ein Örtchen, wo sich im Schatten spazieren lässt. Vignoux heisst es, Vignoux-sur-Barangeon. Da finden wir nach ein paar Stunden ein ganz malerisches Hotel, eine junge Familie mit grossen Ambitionen führt es. Gar ein kleines Schwimmbad im Garten. Sylvia bleibt zurück, ich wandere weiter, werde am Abend irgendwie zurückkommen. Unerwegs, bei einem ziemlich verwahrlosten Baurenhof, entdecke ich einen alten Traktor. Er fasziniert mich, ich muss ihn abzeichnen. Was für Emotionen so ein altes Gefährt wecken kann…
(Vignoux-sur-Barangeon, 17. Juni 2002)