Wenn es bei einem Polizei-Einsatz zur Personen-Kontrolle einen Toten gibt, gibt das zu reden. Wenn der Tote ein Schwarzer ist, gibt das zu denken. Was gibt das dann zu tun?
Silvester 2009: Eine Gruppe von Jugendlichen liefert sich eine Schlägerei. Bei der anschliessenden Personenkontrolle erschiesst ein Polizist einen der Jugendlichen. Dies allein hätte für Aufsehen gesorgt. Aber die Tatsache, dass der junge Mann ein Schwarzer war, machte die anschliessende Debatte in der Öffentlichkeit noch brisanter. Die U-Bahnstation, in der die Tötung geschah wurde in den folgenden Tagen zu einem Fanal: «Fruitvale Station» wurde zu einem Symbol für die immer noch schwelenden Rassenkonflikte in den USA: Überall im Land kam es zu Unruhen.
Plötzlich wurde Gerechtigkeit zur Nebensache und politisches Kalkül übernahm die Hauptrolle: In der Gerichtsverhandlung gegen den fehlbaren Polizei-Beamten ging man auch der Frage nach: Wer war das Opfer? Je nach politischem Couleur setzte man den jungen, vorbestraften Vater in unterschiedliches Licht: Den einen galt er als friedliebender Arbeitsloser, den anderen als notorischer Störefried.
Sehen wir noch, was wir schauen?
Eine weitere Besonderheit zeichnete den Fall aus: Es gab von den Ereignissen der Silvesternacht, wie auch von der Erschiessung, Zeugen-Videos. Auf den Videos war zu erkennen, was sich in der Fruitvale-Station tatsächlich abspielte. Die Filme waren bald jedermann zugänglich. Über Youtube. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand, die kleinen Filme vor Augen, die Frage stellen würde, «was sehen wir, wenn wir etwas sehen?» Wie ist eine Tatsache tatsächlich? Wie kam es, dass in den Filmchen jeder etwas anderes sehen wollte?
Der Film «Fruitvale-Station» zeigt den letzten Tag des Opfers, und fängt mit dem letzten Filmchen an. Dann zeigt er in Rückblende die letzten vierundzwanzig Stunden im Leben eines jungen Mannes, der als Vorbestrafter einen Wiedereinstieg sucht. In gut recherchiertem Zusammenhang wird die Umgebung von Oscar Grant (Michael B. Jordan) geschildert. Das führt uns mitten in eine sorgfältig gemachten Thriller.
Der Thriller im sozialen Brennpunkt
Mit der Kenntnis des Endes vor Augen, wird unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf die sozialen Brennpunkte gelegt. Nicht das «Wohdunnit?» interessiert in den authentischen Bildern. Sondern der verlorene Ausweg. Das Schicksal schlägt mit einer Wucht zu, die so erbarmungslos wie die Zuschauer rundum wirkt. Welche gesellschaftliche Gewalt wird da zunehmend selbstverständlich?
Was am Tatort, nachts und nach Betriebsschluss in der U-Bahn gedreht werden musste, wirkt denn auch verzweifelt realistisch: In der Masse der Silvester-Feiernden trifft ein Zug ein. Die Jugendlichen weichen einem Handgemenge aus. Die Polizei könnte jetzt ihrem Handbuch folgen. Die jungen Männer kennen keines. Dann rutscht eine Hand aus. Er habe, sagt der Polizist vor Gericht aus, den Elektro-Teaser mit seiner Schusswaffe verwechselt. Im Stress.
Ein Produzent der weiss, was er will
Mit dem Oscar-Preisträger Forest Withaker hat der junge Regisseur Ryan Coogler einen Produzenten gefunden, der Film als Botschaft versteht: Seine Firma «Significant Films» tut, was sie verspricht: Sie stösst eine Debatte an, die weit über die Rassismus-Debatte hinausführt: Tief in die neue mediale Kriegsführung. Auch wenn Bilder beweisen, dass ein Mord geschieht, beweisen Sie in den Medien immer noch etwas darüber hinaus: Dass Bilder benützt werden können, um genau das Gegenteil eines Mordes zu beweisen: Dass wir dabei sein können, ohne teilnehmen zu müssen. Dass wir Tötungen sehen dürfen, ohne Beteiligte zu sein. Dass wir dabei sein sollen, wenn geschossen wird, ohne getroffen noch betroffen zu sein. «Fruitvale Station» schafft etwas anderes: Er trifft einen.
Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos