In einem letzten Versuch zur Abwendung ihrer endgültigen Absetzung hat die suspendierte brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff das Amtsenthebungsverfahren als «willkürlich» gebrandmarkt.
Sie habe die Verbrechen, die ihr zu Unrecht zur Last gelegt werden, nicht begangen, sagte die 68-Jährige am Montag bei ihrer 45-minütigen Verteidigungsrede vor dem Senat in Brasília. Das Amtsenthebungsverfahren laufe auf einen Staatsstreich hinaus.
Rousseff bewahrte bei ihrer Rede fast durchgängig die Fassung, die Stimme drohte jedoch zu versagen, als sie auf die erlittene Folter unter der Militärdiktatur in den 70er Jahren und auf den Kampf gegen den Lymphdrüsenkrebs zu sprechen kam, den sie besiegte. «Zweimal habe ich das Gesicht des Todes aus der Nähe gesehen», sagte Rousseff. «Heute fürchte ich nur noch den Tod der Demokratie, für die viele von uns gekämpft haben.»
Rousseff wiederholte den im Verlauf des Verfahrens mehrfach erhobenen Vorwurf, das Amtsenthebungsverfahren sei in Wirklichkeit ein Putsch ihrer politischen Gegner. Diese wollten die Entscheidung der 54 Millionen Wähler missachten, die ihr bei ihrer Wiederwahl 2014 die Stimme gegeben hatten.
Rousseff wird vorgeworfen, Haushaltszahlen massiv geschönt und Geld ohne Zustimmung des Kongresses ausgegeben zu haben. Sie war Anfang Mai vom Parlament für zunächst 180 Tage ihres Amtes enthoben worden
Bei ihrem Eintreffen im Senat wurde Rousseff von ihrem Amtsvorgänger und Förderer, Luis Inácio Lula da Silva, begleitet. Mehrere hundert Anhänger hatten am Vorabend für ihren Verbleib im Amt demonstriert. Da Silva und andere Anhänger gelangten auch in den Senatssaal, wo sie sich nicht an die Aufforderung von Verfassungsrichter Ricardo Lewandowski hielten, still zu sein. «Dilma, Kriegerin des brasilianischen Volkes!», erscholl es von der Zuschauertribüne.
Steuerbetrug und Vertrauensverlust
Die Senatorin Simone Tebet warf Rousseff vor, die Verfälschung der Haushaltszahlen hätten einen Vertrauensverlust nach sich gezogen, der zur schwersten Finanzkrise in der Geschichte des Landes geführt habe. Der Senator Cassio Cunha Lima sagte, Rousseff sei für den grössten Steuerbetrug in der Geschichte des Landes verantwortlich.
Rousseffs Unterstützer Luis Saraiva hingegen sprach von einem Komplott der Rechten. Das Amtsenthebungsverfahren sei eine Farce, sagte er.
Nach Rousseffs Rede war eine ausführliche Debatte im Senat geplant. Am Dienstag oder Mittwoch sollte eine Abstimmung folgen. Rousseffs Absetzung wäre endgültig beschlossen, wenn dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit – mindestens 54 von 81 Senatoren-Stimmen – erreicht wird.
Das höchste Staatsamt geht dann für den Rest des Mandats an Rousseffs Stellvertreter Michel Temer über, der bereits seit dem 12. Mai Interims-Präsident ist. Die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sind für Ende 2018 geplant.
Temer würde also bis bis Ende 2018 im Amt bleiben und könnte am Mittwoch als Präsident zum G20-Gipfel nach China reisen. Er will mit einer Mitte-Rechts-Regierung das fünftgrösste Land der Welt aus der tiefen Rezession führen und Privatisierungen einleiten, etwa im Gesundheitsbereich oder von Flughäfen. Über elf Millionen Brasilianer sind arbeitslos.